Zur falschen Zeit: Roman (German Edition)
während des ganzen vor ihnen liegenden Urlaubs, wurde ihm schwindelig vor Glück und Lust.
Er hatte sich ihm gegenüber auf einem schmalen dunkelblauen Handtuch ausgestreckt. Von seinem Körper sah Emil nur den Hals, das Schlüsselbein, die Schultern, die Arme und die gefalteten Hände, auf denen sein Kinn lag. Er mußte schon im Meer geschwommen sein, denn sein glatt nach hinten gekämmtes Haar war noch feucht. Unverwandt blickte er ihn an, und nichts war leichter und erstrebenswerter, als in diesem Blick zu versinken. Langsam vergrub Sebastian den einen, dann den anderen Arm tief im Sand. Sein Gesicht war heller als seine Schultern, als habe er sich absichtlich vor der Sonne geschützt. Zwei kleine Bewegungen, und die Arme tauchten wie schlanke Tiere aus ihrem unterirdischen Bau wieder auf. Sandkörnerund winzige Steinchen verfingen sich in den Härchen, die Muskeln des Oberarms wellten und glätteten sich.
Sebastians Lippen bildeten ein Wort, das Emil sofort verstand.
Sebastian erhob sich und legte sein Handtuch zusammen. Emil zugewandt, ging er in die Knie. Er legte beide Arme auf die Oberschenkel und sah auf Emil herab. Die leichte Kopfbewegung in Veronikas Richtung verstand Emil als Zeichen zum Aufbruch.
Emil steht auf. Veronika bittet ihn, Sonnenöl mitzubringen, wenn er zurückkommt. Es ist Mittag, wie üblich wird er sich im Hotel etwas hinlegen oder arbeiten, ein, zwei Stunden, wie in den vergangenen Tagen, »es können auch drei werden, spätestens um vier bin ich wieder da«. Selbst wenn ihr auffiele, daß ihm der junge Mann folgt, der ihm eben noch gegenüberlag, würde sie sich nichts dabei denken. Es sind so viele Leute hier, und es scheint, als würden es täglich mehr. Ahnungslos liest Veronika weiter, einen Arm ausgestreckt, um sich vor der Sonne zu schützen, die sie trotz ihrer dunklen Brille um diese Zeit besonders stark blendet. »Vergiß nicht, dich einzuölen«, sagt er gewohnheitsmäßig. Sie dreht sich auf den Bauch und blickt wieder hoch. Emil ist weg. Die beiden jungen Männer gehen in der Menge der unersättlich Sonnenhungrigen unter. Wem sollte es hier auffallen, daß sich ihre Schultern berühren? Emil durchfährt ein Schauer.
Es bleibt Zeit genug, später über Sebastians Kaltblütigkeit zu staunen. Wie es ihm gelungen ist, Emils Zimmernummer in Erfahrung zu bringen, und tatsächlich das angrenzende Zimmer zu belegen, bleibt Emil ein Rätsel. Was ihm jetzt widerfährt, weckt andere Gelüste und Leidenschaften als Neugierde und Wißbegierde. Sebastian scheint über Talente zu verfügen, die er selbst nicht besitzt. Erbewundert alles an ihm. Was er tut, tut er traumwandlerisch, bedenkenlos, während Emil immer wartet, bis es geschieht.
Sie lagen in Sebastians Zimmer. Wäre Veronika überraschend ins Hotel zurückgekommen, hätten die beiden jungen Männer schon von weitem das Klacken ihrer Sandalen auf dem Flur gehört, und Emil wäre genügend Zeit geblieben, sich anzuziehen, hinüberzugehen und eine Lüge zu erfinden, die seine Abwesenheit erklärt hätte. Daß dieser Fall eintrat, war aber äußerst unwahrscheinlich.
Sie trafen sich jeden Mittag in Sebastians Zimmer, außer am ersten Sonntag, als Veronika darauf bestand, den Markt in Port Vendres zu besichtigen, der sich allerdings als reizlos erwies. Nach einer Stunde hatte Veronika genug, und so fuhren sie leicht verstimmt und mit leeren Händen nach Collioure zurück.
Selbst wenn sie allein waren, achteten Sebastian und Emil darauf, sich nicht bemerkbar zu machen, sie schlossen die Fenster und sprachen leise. Wenn einer aufstöhnte, preßte ihm der andere die Hand auf den Mund.
Bevor Emil das Zimmer verließ, vergewisserte sich Sebastian stets, daß sich weder Gäste noch Personal und schon gar nicht Veronika auf dem Flur befanden. Vorsichtig öffnete er die Tür und hielt durch den Spalt Ausschau nach unerwünschten Beobachtern. Wenn er sah, daß die Luft rein war, nickte er Emil zu, und dieser schlüpfte hinaus.
Veronika erwähnten sie nicht, außer wenn Emil sagte: »Sie wartet.« Es war, als existierte sie nicht. Am längsten wurden ihnen die Nächte. Doch auch dafür fanden sie schließlich eine Lösung.
Die Tage vergingen im Flug. Sebastian erzählte ihm von seiner Mutter. »Warum wohnst du noch bei ihr? Warum ziehstdu nicht aus?« »Ich glaube, sie würde verrückt werden.« »Ach, komm.« Insgeheim erwartete Emil, daß Sebastian ihm erzählte, er wohne nur deshalb zu Hause, weil er sich keine Wohnung leisten
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