Zurueck auf Glueck
musste, und eine Tüte Lebensmittel, weil es am Stadtrand so gut wie nichts zu kaufen gibt. Imogene hatte Harriet schon länger nicht mehr gesehen. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt jemanden gesehen hatte, bei dem es sich nicht um Verwandtschaft, den UPS-Mann, eine medizinische Fachkraft oder eine Zeichentrickfigur handelte. Obwohl sie sich nach Kräften bemühte, in Erwachsenenwörtern mit Harriet zu reden, hätte sie sich um ein Haar einen ungeheuerlichen Patzer geleistet: Nachdem sie eine Tasse Kaffee umgekippt hatte, rief sie nämlich: »Scheibenkleister – ich meine, Scheiße.«
Während die Kinder und der Hund ein Nickerchen machten, führte sie Harriet bis in die hintersten Winkel durchs Haus. »Das hier war früher das Wäschezimmer«, sagte Imogene, »aber wer will seine Wäsche schon unten erledigen? Deshalb wollten wir es zur Speisekammer umfunktionieren, und dann dachte ich auf einmal ›Speisekammer‹? Warum reißen wir nicht lieber die Wand raus – da war nämlich früher eine Wand –, dann gewinnen wir, wenn wir noch ein paar Quadratmeter vom Heizungskeller abknapsen, ein Spielzimmer.«
450.
Harriet nickte.
451.
»Möchtest du wirklich nichts mehr essen, Harr?«, fragte Imogene.
»Äh«, sagte Harriet. »Meinst du, wenn ich jetzt gleich losgehe, schaffe ich den Fünfachtundfünfziger noch?«
»Aber ich hab dir doch noch gar nicht den Kriechkeller gezeigt.« Imogene hielt ihr einladend die Tür nach unten auf. Harriet sah auf die Uhr. »Wenn Wally nach Hause kommt«, sagte Imogene, »kann er dich zum Bahnhof bringen.«
»Es ist bloß, weil ich Lawrence gesagt habe …« Harriet brach mitten im Satz ab.
452.
Imogene blieb nichts anderes übrig: Sie bot Harriet einen Anteil an der Firma an – anfangs nur 15 Prozent, aber als es so aussah, als ob sie den Fünfachtundfünfziger tatsächlich noch erwischen könnte, ging sie auf 25 hoch. »Danke, dass du mit mir teilst«, sagte Harriet trocken.
453.
Harriet blieb zum Abendessen, einem Essen zu zweit, weil Wally noch nicht zu Hause und die Kinder noch nicht reif genug fürs Esszimmer waren. Nachdem Imogene Flummi und LinLin ins Bett gebracht hatte, gelang Harriet die Flucht. »Ich bin ja so neidisch auf dein Glück«, sagte sie zu ihrer neuen Geschäftspartnerin, als diese sie zur Tür begleitete.
454.
Hat schon mal irgendwer Imogene weinen sehen? Patty jedenfalls nicht. Aber als Wally von der Arbeit kam, weinte sie zum Steinerweichen. Flummis Big Boy-Rennwagenbett war ihr zum Verhängnis geworden. Erst war am Fußende der Kühlergrill abgefallen und dann auch noch ein Rad samt Radkappe. Während Flummi einen Tobsuchtsanfall hatte, gab Imogene ihr Bestes, das Wrack zu reparieren, doch dann lag auf einmal auch noch das Chassis da, wie ein gekentertes Boot. LinLin probierte ebenfalls ihr Glück, aber die Kraft eines Babys hat Grenzen, auch wenn es sich bei dem Baby um LinLin handelt.
Heute Nacht würde es keine Ruhe geben.
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Es würde viel von Wickelplänen die Rede sein.
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»So hab ich mir das nicht vorgestellt«, wimmerte Imogene.
457.
Wally wusste genau, was sie meinte.
458.
Wally hatte sich nämlich ebenfalls etwas anderes erwartet: dass sich die Sonnenenergie durchsetzen, Geld keine Rolle mehr spielen und die Erdnussbutterplätzchen so lecker schmecken würden, wie sie auf der Schachtel abgebildet waren. Davon einmal abgesehen, war er glücklicher als in seinen kühnsten Träumen. Die Welt hatte gehalten, was sie ihm versprochen hatte. Und noch was draufgelegt. Diese Meinung behielt er vorläufig lieber für sich. Stattdessen baute er schnell und ohne viele Worte das Bett wieder zusammen. »Immy, du hast die ganze Vorarbeit geleistet.« Er tätschelte ihr den Kopf. »Ich brauchte nur noch letzte Hand anzulegen.«
(In jener Nacht hing voll und tief der Mond am Himmel, und vor der Scheibe stand blass ein Mondregenbogen. Ein wahrlich seltenes Ereignis.)
459.
Imogene hatte Untersuchungen darüber gelesen, was aus den Kindern voll berufstätiger Mütter wurde. Die Prognosen sahen düster aus. Depressionen, Drogen, Selbstmorde, Astigmatismus, Unterschlagungen, Attentate, Pleiten, Entführungen durch Außerirdische, Phantomglieder, eingewachsene Zehennägel an Phantomgliedern, Läuse, Motten, Spliss, Skrofulose. Flummi stand in ihren Augen schon jetzt ein bisschen auf der Kippe. In letzter Zeit schleppte er aus dem Haus von Freunden, bei denen er zum Spielen gewesen war, den Klostampfer der Familie an.
460.
Man hätte es
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