Zurueck in die Nacht
jetzt tun?
Nachdem
ich wirklich nicht den geringsten Schimmer habe, fällt mir nur einer ein, der
mir vielleicht helfen kann. Und so wähle ich schließlich Ariks Nummer. Auch
wenn ich keine Ahnung habe, wo er sich zurzeit befindet. Seit ich aus
Deutschland weggegangen bin, habe ich nichts mehr von ihm gehört. Wie wir es
abgemacht hatten.
Ich
lasse es endlos durchklingeln, bis mich eine unpersönliche Stimme informiert,
dass der gewünschte Gesprächspartner leider nicht antwortet. Shit. Nach
einer weiteren Bedenkzeit, in der ich alle Für und Wider abwäge, wähle ich noch
einmal. Diesmal ist es Clarissas Nummer. Doch das Ergebnis ist dasselbe.
Clarissa antwortet auch nicht. Mühsam versuche ich, meine aufsteigende Panik zu
unterdrücken. Ich muss jetzt einen kühlen Kopf bewahren. Ich könnte es noch auf
ihrer Festnetznummer versuchen. Aber dann fällt mir auf, dass ich die gar nicht
habe. Und die Auslandsauskunft informiert mich, dass eine Clarissa Choe bei
ihnen nicht aufgeführt ist und eine Amanda Choe ebenfalls nicht. Zu spät fällt
mir ein, dass Clarissas Mutter ja neu verheiratet ist und deswegen sowieso
einen anderen Nachnamen hat. Welcher das ist, weiß ich leider nicht. Und in
ganz Kirchdorf ist überhaupt keine Frau namens Amanda gelistet. Also beschließe
ich, es am Morgen noch mal zu versuchen. Schließlich ist es in Deutschland auch
noch mitten in der Nacht.
Während
ich noch grüble, klingelt mein Handy wieder. Dieselbe Nummer wie vorhin. Ich zögere
kurz, ob ich drangehen soll, doch dann melde ich mich. „Patti?“
„Du
hast vorhin so komisch geklungen, Mike“, sagt sie statt einer Begrüßung. „Ist
alles in Ordnung?“
„Klar.
Wieso? Bin nur müde“, versuche ich sie abzuwimmeln.
Aber
sie ist nicht blöd. „Du hörst dich aber nicht müde an. Eher seltsam. Als ob was
nicht stimmt.“
Muss
sie ausgerechnet jetzt so intuitiv sein? Eine verrückte Sekunde lang überlege
ich, ob ich sie nicht einfach einweihen soll. Vielleicht erinnert sie sich dann
ja noch an mehr und kann mir helfen. Doch ich verwerfe den Gedanken ganz
schnell wieder. Wennsie sich tatsächlich an alleserinnern
würde, dann wüsste sie auch, dass wir Feinde sind und ich ebenfalls an dem
Angriff auf sie und ihren Freund beteiligt war. Und dann würde sie alles andere
tun als mir zu helfen.
„Wenn
ich endlich wieder schlafen könnte, statt mit dir zu telefonieren, müsstest du
dir auch keine Sorgen mehr um mich machen!“, fahre ich sie schärfer als
beabsichtigt an.
„Okay,
schon gut“, kommt denn auch ihre pikierte Antwort. „Aber falls du es dir anders
überlegst – du kannst mich jederzeit anrufen. Gute Nacht, Mike. Schlaf schön!“ Die Ironie ist nicht zu überhören.
Ich
verdränge mein schlechtes Gewissen, werfe mein Handy aufs Bett und stehe dann
kurzentschlossen auf. An Schlaf ist mit Sicherheit nicht mehr zu denken, also
kann ich mich genau so gut anziehen. Vielleicht fällt mir nach einer heißen
Dusche und einem noch heißeren Kaffee doch noch etwas Schlaues ein.
Eine
Viertelstunde später sitze ich am Küchentisch und starre wieder Löcher in die
Luft. Der Kaffee schmeckt um diese frühe Stunde scheußlich, aber wenigstens ist
er stark und macht mich endgültig wach. Doch eine zündende Idee habe ich
trotzdem noch nicht gehabt.
In
diesem Zustand findet mich eine unbekannte Zeitspanne später Raphael. Er fährt
erschreckt zusammen, als er mich so unerwartet vor sich sieht. „Mike! Um
Himmels Willen! Was machst du denn schon hier? Kannst du nicht schlafen?“
„Nein“,
grummle ich. Ist ja wohl offensichtlich. „Und selbst? Auf der Suche nach etwas Trinkbarem?“
Er
zuckt zusammen. Okay, das war gemein. Aber ich bin gerade echt nicht in der
Stimmung für höflichen Smalltalk.
„Hast
du vielleicht auch einen Kaffee für mich?“
Toll.
Das habe ich jetzt davon. Unwirsch stehe ich auf und gieße ihm einen ein. Dann
sitzen wir uns schweigend gegenüber.
„Also,
jetzt mal ernsthaft“, bricht Raphael endlich das ungemütliche Schweigen. „Was
ist los? Hast du Probleme?“ Nach langer Zeit klingt er endlich mal wieder wie
der Vater, der er früher für mich war. Zwar immer etwas verrückt und peinlich,
aber auch um mich besorgt. Einer, der sich kümmert. Der versucht, mich zu
verstehen. Und der sich immer bemüht hat, mir die fehlende Mutter zu ersetzen.
Ein Freund. Nicht das nervliche Wrack der letzten Wochen.
Auf
einmal habe ich keine Lust mehr auf blöde Ausflüchte. Weder von ihm noch
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