Zurueck in die Nacht
wieder etwas Farbe bekommt, setze ich mich hin, lasse ihn
aber nicht aus den Augen, genau so wenig wie er mich.
Erst
jetzt scheint ihm bewusst zu werden, was er da wirklich gerade gesehen hat.
Oder besser, nicht gesehen. „Aber… wie hast du… woher…“ Er springt auf. Er
klingt jetzt nicht mehr halbtot, sondern total aufgeregt.
„Woher
ich das kann? Von ihr . Ich bin ihr Sohn.“
„Aber…
was…“
Ich
seufze. Mehr als Aber und Was scheint heute bei ihm nicht mehr
drin zu sein. Also drücke ich ihn sanft auf den Stuhl zurück und beginne mit
meiner Geschichte. Es wird eine lange Erzählung. Ich fange an mit Clarissa,
ihrer Ankunft bei uns, und zunächst versteht er kein Wort. Aber als ich Arik
zum ersten Mal erwähne, ist ihm das egal. Er hängt förmlich an meinen Lippen. Er
ist absolut entsetzt, als ich seinen Tod erwähne, und ich schaffe es nur mit
Mühe und Not, ihn zum weiteren Zuhören zu bewegen. Und als ich ihm schließlich
berichte, wie Clarissa und ich unser Geheimnis – das von Claire, Arik und mir –
entdeckt haben, ist er nicht mehr zu halten. Wie ein Stehaufmännchen springt er
wieder auf und rennt wild gestikulierend durch die Küche.
„Ich
wusste es! Ich wusste es! Das ist doch einfach total unglaublich! Wo ist
sie? Und er? Du musst es mir sagen! Sofort!“
Er
ist so aufgeregt, dass ich schon wieder um seine Gesundheit fürchte, und ich
erzähle ihm die Geschichte so rasch wie möglich zu Ende. Seine Aufregung wird
dadurch aber nicht kleiner.
„Also
ist er jetzt in Deutschland? Bei dieser Clarissa? Los, wir fahren sofort hin!“
Er
macht Anstalten, aus der Küche zu stürmen, und nur in letzter Sekunde kann ich
ihn am Ärmel packen. „Nun warte doch mal! Das ist nicht so einfach!“
„Warum
nicht?“ Jetzt sieht er aus wie ein Kind, dem man sein Weihnachtsgeschenk vor
der Nase wegschnappt.
„Weil
ich nicht weiß, ob er jetzt überhaupt noch da ist!“ Ich erzähle ihm von meinen
vergeblichen Versuchen, Arik oder Clarissa anzurufen, und komme dann endlich
zum letzten Teil der Geschichte. „Außerdem gibt es da noch eine Komplikation.“
„Und
welche?“ Er sieht mich misstrauisch an.
„Ich
habe dir doch von Patti erzählt. Der Wächterin, die wir, bevor wir nach
Deutschland gegangen sind, in Ariks Wohnung eingesperrt haben.“
„Ja
und?“
„Da
ist sie natürlich nicht mehr. Sie geht ganz normal auf meine Schule. Sie war
sogar bei meiner Geburtstagsfeier. Aber da hast du wohl schon geschlafen.“
„Und
weiter?“ Er lässt sich nicht ablenken.
„Also,
der Hauptgrund, warum ich hierher – in diese Zeit – zurückgekehrt bin, war sie.
Ich wollte herausfinden, ob sie und die anderen Wächter noch auf unserer Spur
sind. Dafür musste ich sie beobachten.“
„Und
sind sie?“
„Nein.
Zumindest schien es bisher nicht so. Sie hatte keine Ahnung mehr, was passiert
war. Weil es ja auch eben nicht passiert ist. Verstehst du?“
Er
nickt ungeduldig. „Klar. Ist ja logisch.“
Ich
seufze wieder. Ich finde das mit den veränderten Zeitabläufen gar nicht so
logisch, sondern nach wie vor sehr kompliziert. Man merkt eben doch, dass er
sich schon länger mit so etwas beschäftigt.
Ich
fahre fort: „Aber seit einiger Zeit hat sie Träume. Ziemlich seltsames Zeug.
Zuerst klang es eher wirr, aber dann… Sie hat angefangen, von uns zu träumen.
Von Nathanael, Arik und so weiter“, erkläre ich auf seinen fragenden Blick
genauer. „Und heute Nacht hat sie dann auf einmal alles geträumt. Von den
Kämpfen. Dass Nathanael Arik töten wollte. Und dass am Ende Clarissa ihn getötet hat. Sie hat sich an Clarissas Namen erinnert. Und dann hat sie ihn
diesen komischen Stimmen verraten.“
Raphael
sagt erst mal gar nichts, als ich ende. Sieht mich nur fragend an. Schließlich,
als er merkt, dass von mir nichts mehr kommt, fragt er: „Und jetzt machst du
dir Gedanken?“
Ich
nicke. „Ja. Ziemlich viele sogar. Deshalb habe ich ja auch versucht, die beiden
anzurufen. Aber da meldet sich niemand. Sie sind nicht erreichbar. Und ich
frage mich, ob das irgendwie zusammenhängt.“
Raphael
wirkt nachdenklich. Ernst. Und, zum ersten Mal seit langem, weder müde noch
verzweifelt. Sondern klug und kühl. Und sehr, sehr nüchtern. „Du meinst, ob das
alles mit den Wächtern zu tun hat?“, fragt er schließlich nach langem
Schweigen.
Ich
nicke.
„Sieht
ganz so aus, würde ich sagen“, bestätigt er dann meine schlimmsten
Befürchtungen. „Wer sollten denn
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