Zurueck in die Nacht
und Maya mich ein zweites Mal auf die Tanzfläche
schleppte, merkte ich, dass ich das Glas vielleicht doch nicht so schnell hätte
leer trinken sollen. Ich war zwar nicht betrunken, aber doch deutlich
beschwipst – und auf einmal fand ich das Tanzen gar nicht mehr so schlimm. Das
also war gemeint, wenn man von „Mut antrinken“ sprach. Dieses Mal vergaß ich
einfach alles um mich herum und überließ mich ganz der Musik. Und merkte, dass ich
tatsächlich begann, fast so etwas wie Spaß zu haben.
Ich war so in
meine neu entdeckte Seite versunken, dass es mich wie ein Blitzschlag traf, als
plötzlich meine Hand gegen fremde Haut stieß. Mein erster Gedanke – völlig
irrational – war: Arik! Genau so hatte es sich immer angefühlt, wenn er
mich berührt hatte. Wie ein Stromschlag. Erschreckt riss ich die Augen auf, und
die Enttäuschung folgte auf dem Fuß, nur um sogleich von einem weiteren Gefühl
abgelöst zu werden. Der Junge, der direkt vor mir stand und mich erwartungsvoll
ansah, war natürlich nicht Arik. Aber auch kein Fremder. Vor mir stand der Typ
aus dem Kino und sah mich aus leuchtend blauen Augen intensiv an.
Instinktiv wich
ich zurück. Das konnte nun wirklich kein Zufall mehr sein!
„Nicht weggehen.
Bitte!“ Seine sanfte Stimme, die trotz der Musik leise, aber deutlich an mein
Ohr drang, brachte mich wieder zum Stehen. Ich war völlig durcheinander. Wieso
hörte ich auf ihn? Was wollte er? Wer war dieser Kerl? Einerseits schrie alles
in mir, dass mit ihm etwas nicht stimmte und ich am besten sofort den Rückzug
einleitete, andererseits zog mich irgendetwas an ihm magisch an. Auch wenn ich
weggehen wollte , ich konnte es einfach nicht. Ich musste
wenigstens wissen, was hier los war.
Der Fremde schien
mein Zögern zu spüren und nutzte seine Chance. Ehe ich wusste, was er vorhatte,
machte er auf einmal einen Schritt auf mich zu und griff nach meinen Händen.
Mir war, als
bliebe die Zeit stehen. Alles um mich herum schien zu erstarren, und ich nahm
nur noch den Jungen vor mir wahr, der meine Hände festhielt, als wolle er sie
nie wieder loslassen. Und statt Panik oder Verlegenheit oder Empörung über
seine Dreistigkeit fühlte ich ein nie gekanntes Gefühl in mir aufsteigen, das
mich völlig überwältigte. Das Gefühl von Dazugehörigkeit. Als hätte ich meine
zweite Hälfte gefunden, von der ich bis dahin gar nicht wusste, dass ich sie
verloren hatte. Es war ganz anders als das, was ich für Arik empfand. Und doch
war es genau so intensiv. Nur da, wo Arik mich in allergrößten Aufruhr
versetzte und ich das Gefühl hatte, auf einem Drahtseil über einen Abgrund zu balancieren,
gab mir diese Berührung eine solch wohltuende Ruhe, dass ich plötzlich glaubte,
nie wieder vor irgendetwas Angst haben zu müssen. Ich konnte keinen klaren
Gedanken mehr fassen. Ich wollte auch gar nichts mehr denken – nur fühlen, für
immer versinken in dieser Berührung. Es kam mir noch nicht mal seltsam vor, in
aller Öffentlichkeit händchenhaltend mit einem völlig Fremden, der noch dazu überhaupt
nicht mein Typ war, auf der Tanzfläche einer Disco zu stehen. Irgendwie fühlte
es sich einfach richtig an, so als würde ich ihn schon mein ganzes Leben kennen
und als gehörten wir einfach zusammen.
Wie lange dieser
Moment dauerte, kann ich nicht sagen. Ich hatte jedes Zeitgefühl verloren. Ich
war wie im Traum. Ich erwachte erst wieder, als mich jemand unsanft an der
Schulter rüttelte. „Clarissa, he! Alles in Ordnung mit dir?“
Verwirrt öffnete
ich die Augen. Wo war ich? Und wo war… Hektisch blickte ich mich um. Erst jetzt
wurde mir bewusst, dass niemand mehr meine Hände festhielt. Ich stand wie ein
Depp mitten auf der Tanzfläche und streckte sehnsüchtig meine Arme aus. Rasch
ließ ich sie sinken.
„Clarissa?“
„Wo ist… Hast du
ihn gesehen? Weißt du, wo er hin ist?“
„Von wem redest
du?“, fragte Maya verwirrt.
„Der Typ, der
gerade…“ Plötzlich zögerte ich. Es widerstrebte mir auf einmal, mit Maya über
diese seltsame Begegnung zu sprechen. Wahrscheinlich würde sie mich dann für
völlig durchgedreht halten. Oder betrunken. Sie sah mich sowieso schon so
komisch an. „Ach, egal“, murmelte ich. Dann stolperte ich entnervt von der
Tanzfläche. Was sollte ich auch sonst tun? Irgendetwas sagte mir, dass ich ihn
nicht finden würde, selbst wenn ich die ganze Disco auf den Kopf stellte. Scheinbar
wollte er nicht gefunden werden, sonst wäre er schließlich nicht so
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