Zurueck in die Nacht
plötzlich
abgehauen. Leider hatte ich ja einige Erfahrung mit dem Verschwinden von
Jungen. Aber warum verschwand er überhaupt so plötzlich, wenn er mich doch kurz
zuvor noch so umklammert hatte, als wolle er mich nie wieder loslassen?
„Verstehe einer
die Männer“, murmelte ich erschöpft, was mir ein weiteres Kopfschütteln von
Maya eintrug. Plötzlich hatte ich genug. „Maya, können wir gehen?“ Ich hörte
selbst, wie kläglich meine Stimme klang.
Maya bemerkte es
auch. „Ja, sicher“, entgegnete sie, nicht allzu begeistert, „wenn du willst...“
So schnell wie
möglich verließ ich die Disco. Sie kam mir auf einmal unerträglich eng und laut
vor, und ich sehnte mich nach frischer, klarer Nachtluft und meinem heimischen
Bett. Vielleicht würde das meinen Verstand ja wieder zurechtrücken.
Die Hoffnung war
natürlich vergeblich. Ich träumte besonders lebhaft, und diesmal mischte sich
in meine Angst um Arik auch noch das schlechte Gewissen, dass ich so einfach
bereit war, ihn für einen völlig Fremden zu vergessen.
Fallen: Hey, Clarissa, long time no
see!
Clarissa: Ich dachte, Zeit zählt für dich nicht?
Fallen: Für
mich nicht, aber für dich.
Clarissa: Irgendwas Neues?
Fallen: Klar.
Hab jemand getroffen.
Clarissa: Glückwunsch. Ich auch.
Fallen: Oh.
Ist er wieder da?
Clarissa: Nein, ein anderer. Verschwindet auch gern ohne Warnung.
Fallen: Einer
reicht dir wohl nicht?
Clarissa: Weiß nicht. Bin ganz durcheinander. Und du?
Fallen: Sehe
sie bald wieder. Denk dran, er findet dich. Bis dann.
Clarissa: Bis bald.
Ich loggte mich
aus. Irgendwie komisch, dass ich mit diesem (oder dieser) Fremden über so
Persönliches redete. Aber gerade, dass ich ihn (oder sie) überhaupt nicht
kannte und auch nie treffen würde, machte das Reden so leicht.
Ich hatte nicht
übertrieben, ich war wirklich verwirrt. Was war da nur passiert letzte Nacht?
Irgendetwas stimmte ganz ernsthaft nicht mit mir. Und das Seltsamste war, dass
meine Gefühle für Arik, auch wenn ich das zunächst befürchtet hatte, nicht im
Geringsten schwächer geworden waren. Das, was ich für den Unbekannten empfand,
hatte irgendwie überhaupt nichts mit Arik zu tun. Die Gefühle für die beiden
existierten nebeneinander. Aber sie waren total intensiv. Und das widerstrebte
mir erst recht. Ich musste wenigstens einen der beiden unbedingt ganz bald
wiedersehen, um endlich durchzublicken. Aber wie um Himmels Willen sollte ich
das anfangen?
Die einzige, allerdings
fast hundertprozentig sichere Möglichkeit war Schlafen. Oder besser gesagt:
Träumen. Denn in meinen Träumen tauchte so gut wie immer wenigstens einer von
ihnen auf, oft auch beide. Allerdings nie so, wie ich es mir wünschte. Meine
Träume waren alles andere als friedlich oder gar romantisch. In ihnen wurde
ständig gesucht, verfolgt, gekämpft – und ich konnte nichts tun als beobachten
und mitleiden, aber nie eingreifen. Und immer wieder endete es damit, dass ich
schweißgebadet und der Panik nahe aufwachte und dann den Rest der Nacht damit
verbrachte, den Traum wieder und wieder in meinem Kopf durchzuspielen auf der
Suche nach irgendwelchen verborgenen Hinweisen darauf, wie ich sie wiederfinden
konnte. Aber da die Umgebung stets dunkel war und man nie etwas Konkretes
erkennen konnte, war auch diese Hoffnung wohl vergeblich.
Den Samstag
vertrödelte ich wie üblich im Internet und in meinem Zimmer, doch am Sonntag,
nach einer besonders scheußlichen Nacht, hielt ich es nicht mehr aus. Ich
brauchte dringend einen Tapetenwechsel, sonst würde ich noch durchdrehen. Also
tat ich schon wieder etwas völlig Untypisches für mich – ich packte eine
Wasserflasche und ein paar Snacks in meinen Rucksack, zog meine Turnschuhe an
und ging wandern.
Eigentlich war
die Umgebung von Kirchdorf ganz nett. Nicht spektakulär, doch es gab viel Wald
und malerische Hügel, die zu kürzeren und längeren Wanderungen durchaus
einluden. Nur hatte ich einfach keine Lust, allein durchs Gelände zu streifen,
und da auch niemand Lust hatte, mich zu begleiten, verzichtete ich eben darauf.
Wenn überhaupt außer Haus, verbrachte ich meine Freizeit lieber zwischen Mauern.
Aber jetzt
merkte ich zu meiner Überraschung, wie befreiend das Laufen auf mich wirkte.
Die frische Luft, nicht zu kalt, nicht zu warm, der Sonnenschein, das
Blätterrauschen in den Wipfeln über mir, das Zwitschern und Rascheln und
Wispern um mich herum, all das beruhigte meine angespannten Nerven wohltuend.
Und als ich dann
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