Zurück in Virgin River (German Edition)
ernsthaft zu trinken begonnen hatte, sagte er: „Du weißt hoffentlich, dass du mir das nicht alles erzählen musst. Für mich macht es keinen großen Unterschied. Ich picknicke gerne mit dir, weil du jetzt so bist, wie du bist.“
„Willst du es denn nicht hören?“, fragte sie.
„Das ist nicht der Punkt. Aber du musst es mir auch nicht erzählen, um herauszufinden, ob ich vielleicht erschrocken die Flucht ergreife.“
„Dan, ich habe die Geschichte so oft erzählt, dass ich sie im Schlaf beherrsche. Das machen wir bei den Anonymen Alkoholikern so, uns unsere Geschichten erzählen. Und es ist ziemlich faszinierend zu sehen, dass uns in denselben alten Geschichten immer wieder neue Einzelheiten auffallen. Noch nach Jahren.“Also hörte Dan ihr zu. Cheryls Alkoholikerleben begann in der Highschool und wurde immer schlimmer. Mit Mitte zwanzig war sie beinahe ständig betrunken. Dann schilderte sie Dan, wie Mel Sheridan eines Morgens zu ihr gekommen war, um sie sofort in einem Entzugsprogramm in Eureka unterzubringen, und jetzt wollte sie sich nicht mehr allzu weit von Eureka entfernen.
„Ich halte Mel Sheridan für eine tolle Frau“, gestand Dan. „Nur ihr Mann, das ist ein harter Brocken.“
„Jack?“ Cheryl lachte. „Oh, als ich noch trank, hatte ich echt was für ihn übrig. Schrecklich. Ich wäre ihm überallhin gefolgt!“
Dan griff nach ihrer Hand. „Bist du inzwischen darüber hinweg?“
Ihr Gesicht nahm einen seltsamen Ausdruck an. „Hör zu, ich bin noch nicht so weit, mit etwas Komplizierterem als Freundschaft klarzukommen …“
Er drückte ihre Hand und lächelte. „Versuch nicht schneller zu sein als ich, Cheryl. Ich habe nichts Kompliziertes im Sinn. Ich will mich einfach nur sonntags mit einer netten Frau zum Picknick treffen und zwischendurch vielleicht ein bisschen Händchen halten. Das ist alles. Vielleicht kommen wir uns mit der Zeit etwas näher, möglicherweise bleiben wir auch einfach nur Freunde, die gemeinsam Sandwiches essen und Tee trinken. Das ist doch in Ordnung, findest du nicht?“
„Ich glaube schon“, antwortete sie, ohne den Zweifel in ihrem Tonfall verbergen zu können. „Es ist nur so, dass ich noch nie eine richtige Beziehung hatte. Jedenfalls nicht, dass ich wüsste.“
„Ich auch nicht“, antwortete er. „Findest du das nicht auch erschreckend schön?“
Dan bewegte sich in kleinen, wohldurchdachten Schritten vorwärts. Er rief Cheryl niemals während der Woche an. Es sei denn, um auszumachen, dass sie sich am Sonntag sahen. Das tat er nicht etwa, weil sie launisch gewesen wäre, sondern weil auch er selbst lieber etwas behutsamer vorgehen wollte. Nachdem seine Frau ihn verlassen hatte und er nach dem Tod seines Sohnes ins Gefängnis musste, war er überhaupt nicht mehr an einer Beziehunginteressiert, die ihm keine Luft zum Leben ließ. Er hatte so hart daran gearbeitet, sich von seiner Vergangenheit zu erholen, dass er sein neu gewonnenes inneres Gleichgewicht nun mit Vorsicht behandelte.
Seine mühsame Regenerierung war ein sehr langer Prozess. Dan war, ähnlich wie der junge Rick, verwundet und emotional erschüttert aus dem Irak zurückgekehrt. Die Zeit von der Rückkehr aus dem Irak bis zur Entlassung aus dem Gefängnis kam ihm inzwischen vor wie eine extrem langsame und qualvolle Reise. Er war dem dunklen Tunnel gerade erst entronnen. Deshalb wollte er seine Seelenruhe nicht in unnötiger Hast bei dieser Frau, die sich selbst um ihr eigenes Seelenheil kümmern musste, aufs Spiel setzen.
Doch er mochte Cheryl, die sich nicht im Klaren darüber war, wie fantastisch sie war. Nachdem sie ihm alles über ihre Zeit als stadtbekannte Alkoholikerin erzählt hatte, sprachen sie über ihre Kindheit und darüber, was sie damals werden wollten. Dan hatte immer schon gerne gebastelt, aber er hatte gedacht, dass er später mal Rennwagen reparieren würde. Obwohl Cheryl Tiere liebte, hatte sie nie ein Haustier besessen. Sie wollte immer Tierärztin werden, aber sie hatte keinen Highschoolabschluss. Ihre tatsächlichen Jobs waren ziemlich banal, allerdings konnte man gut über die Arbeit auf einer Baustelle und in einem Imbiss reden, um die Verlegenheitspausen zu füllen. Sie unterhielten sich über Menschen, mit denen sie in ihren Jobs zu tun hatten, und über ihre Freunde. Cheryl hatte bei den Anonymen Alkoholikern viele Freunde gefunden, die lebenswichtig für sie waren, und auch Dan hatte sich in Virgin River so etwas wie einen Freundeskreis
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