Zurueck ins Glueck
dreißig Jahre kein Englisch mehr gesprochen, außerdem war ich aufgeregt, weil ich dich so unverhofft wiedergesehen habe. Es war mein Fehler. Pedro ist dein Cousin, nicht dein Bruder. Mein Englisch war so eingerostet, da muss ich wohl das falsche Wort benutzt haben.« Er zuckte die Achseln. »Aber was macht das schon? Ist er denn inzwischen nicht wie ein Bruder für dich?«
»Doch. Nein. Himmel, ich weiß es nicht. Aber Papa, du kannst doch nicht einfach hingehen und jemanden als meinen Halbbruder bezeichnen, wenn er in Wirklichkeit mein Cousin ist.« Dann kam ihr ein Gedanke. »Wie lautet denn sein vollständiger Name?«
»Pedro Martinez Garcia.«
»Bitte?« Sie stutzte. »Er heißt Garcia – so wie du?«
Pablo nickte. »Ja, aber nicht nur – in Spanien bekommt ein Kind zwei Nachnamen, erst den des Vaters und dann den der Mutter. Mein voller Name ist Pablo Garcia Lopez, aber in Irland habe ich mich euren Gebräuchen angepasst, und nur einen Nachnamen benutzt, nämlich den meines Vaters, also Garcia.«
»Dann würde ich nach spanischer Sitte Samantha Garcia White heißen?«
»Ganz genau.«
Samantha seufzte. »Ich weiß bald selbst nicht mehr, wer ich eigentlich bin.«
»Du bist meine kleine Sami! Komm, schenk uns Wein nach.«
Während Samantha ihre Gläser mit der tiefroten, vom Feuer erwärmten Flüssigkeit füllte, schnitt Pablo ein anderes Thema an.
»Sami, ich bin sehr glücklich, dass du bei mir bist, und du bist herzlich eingeladen, so lange zu bleiben, wie du möchtest, aber tief in mi corazon ...« Er tippte sich leicht gegen die Brust. »Tief in meinem Herzen habe ich das Gefühl, dass dir irgendetwas großen Kummer bereitet. Was ist es, mi cosa guapa ? Kann ich dir vielleicht helfen?«
Samantha senkte den Blick. Er war der liebenswerteste Mensch, den sie kannte, aber helfen... helfen konnte er ihr nicht.
»Mein Leben in Irland ist völlig durcheinandergeraten, Papa«, gestand sie endlich. »Ich habe so hart gearbeitet und versucht, alle Ziele zu erreichen, die ich mir gesteckt hatte; aber dann wurde mir klar, dass ich trotz allem nicht glücklich bin, und ich dachte, ich müsste ein wenig Abstand zu all dem gewinnen und versuchen, ganz allein für mich herauszufinden, was ich eigentlich wirklich will. Ergibt das einen Sinn für dich?«
Pablo lachte leise. »Aber natürlich ergibt das einen Sinn. Weißt du, wenn du glücklich sein willst«, er beugte sich vor, um seinen nächsten Worten Nachdruck zu verleihen, »dann musst du mit möglichst wenig Ballast durch das Leben gehen – und damit meine ich sowohl materiellen als auch gefühlsmäßigen Ballast, Sami.«
»Wie bitte?«
»Wer fliegen will, darf sich nicht mit unnötigem Ballast belasten, Kind. Für so viele Menschen ist Arbeit heutzutage der einzige Lebensinhalt. Sie verwenden viel zu viel Zeit und Kraft darauf, sich kaputtzuschuften, nur um sich immer mehr eigentlich überflüssige Dinge kaufen zu können. Und dann können sie vor Sorge um ihre angehäuften Besitztümer nachts nicht mehr richtig schlafen, weil sie ständig Angst haben, alles wieder zu verlieren. Aber alles, was im Leben zählt, sind dein Herz und dein persönliches Glück. Belaste dich nicht mit zu vielen unnötigen Dingen, dann lebst du leichter.«
Samantha dachte an ihren geliebten BMW, der auf dem Langzeitparkplatz des Flughafens von Dublin stand und Unsummen an Gebühren verschlang, an ihre Designergarderobe und ihr Apartment in einem der teuersten Wohnviertel der Stadt. Es war ja gut und schön, im Herzen von La Rioja zu sitzen und über Konsumwahn und
Materialismus zu diskutieren, aber daheim in Dublin sah die Sache ganz anders aus. Ihr ging ein Zitat von Oscar Wilde durch den Kopf, das Gillian stets im Munde führte: »Ich habe einen ganz einfachen Geschmack – immer nur das Beste«, und sie musste ein Lächeln unterdrücken.
»Ich weiß, was du meinst, Papa. Aber das Leben gestaltet sich meist komplizierter, als du ahnst.«
Pablo hob die Schultern. »Das muss es aber nicht. Es liegt an dir«, erwiderte er schlicht. »Sieh dir doch nur Pedro an.«
»Hmm«, brummte sie zustimmend, wohl wissend, dass auch Pedro mit seinem Leben nicht glücklich war. Pablo hatte ja von seinem großen Traum, Andalusier zu züchten, keine Ahnung.
»Ich weiß über die Pferde Bescheid.« Pablo schien ihre Gedanken gelesen zu haben. Seine Augen glitzerten, als er Samantha ansah. »Und du ebenfalls, wie ich glaube.«
»Nun ja, ich...«, stammelte sie, dann brach sie ab, weil
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