Zurueck ins Glueck
Rasenfläche des Rathnew Manor, die sich bis hinunter zum See erstreckte, und die dahinter aufragenden Berge. Ihr fiel auf, dass der Privathubschrauber der Judges nicht mehr auf dem Heliport stand. Demnach waren James und Rose vermutlich schon auf dem Weg nach Fiddler’s Point.
Seufzend registrierte sie, dass keiner der beiden sie angerufen hatte, um Hallo zu sagen oder ihr Glück zu wünschen. Aber warum sollten sie auch, dachte sie traurig. So etwas war nicht ihre Art. Die Judges waren allesamt kühle, abweisende Menschen, ganz anders als sie selbst. Die einzige Ausnahme bildete Cameron, der vor Lebensfreude geradezu überschäumte. Er lebte jeden Tag so, als wäre es sein letzter, und leitete Judges Whiskey mit derselben nie versiegenden Energie. Sein Ururgroßvater hatte das Unternehmen gegründet, und Cameron betrachtete es als seine Pflicht, den Familienbetrieb weiterzuführen. Ein nervöser Schauer lief ihr über den Rücken, als sie sich bewusst machte, dass Cameron der einzige Sohn der Judges war und man von ihr erwarten würde, zumindest einen männlichen Nachkommen zur Welt zu bringen, der das Familienerbe übernehmen konnte.
Ein lauter, anerkennender Pfiff riss Samantha aus ihren Grübeleien.
»Hey, Babe«, begrüßte Ricky seine Schwester fröhlich.
Beim Klang der vertrauten Stimme drehte sich Samantha langsam um.
»Wow, Schwesterherz, du siehst ja zum Anbeißen aus.« Ricky grinste breit. »Wenn du nicht zufällig meine Schwester wärst, stündest du ganz oben auf meiner Liste anbaggernswerter Frauen.«
»Yeah, und wenn du nicht zufällig mein Bruder wärst, würdest du meine persönlichen Top Ten unbedingt zu meidender Machos anführen.«
Ricky versuchte, gekränkt auszusehen, was ihm nicht recht gelang. Er durchquerte den Raum und griff nach der Hand seiner Schwester.
»Darf ich die Braut denn wenigstens küssen?«
»Tu dir keinen Zwang an. Du weißt doch, dass ich dich liebe«, lächelte sie.
Er küsste sie so zart auf die Hand und dann auf die Wange, dass sie die Berührung seiner Lippen kaum spürte.
»Ich liebe dich auch, Samantha. Du bist alles, was mir an Familie geblieben ist, und ich werde immer für dich da sein. Das darfst du nie vergessen.«
Sie lachte. »Was soll das werden? Eine kleine voreheliche Aufmunterungsrede?«
»So was in der Art. Ich weiß, dass du Cameron liebst, aber sollte er dir je wehtun, bekommt er es mit mir zu tun. Dann rufst du mich sofort an. Versprichst du mir das?«
»Versprochen.« Samantha strahlte ihren kleinen Bruder an, den sie geradezu abgöttisch liebte. »Ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann, aber umgekehrt
wird ebenso ein Schuh daraus. Solltest du je in Schwierigkeiten stecken, hole ich dich da raus. Egal wo du bist oder was du angestellt hast... ruf mich einfach an, ich komme sofort.«
Ricky hatte ihr einen Arm um die Taille gelegt und führte sie zur Tür, stimmte aber eine misstönende Wiedergabe von ›You’ve Got A Friend‹ an, als sie ›Ruf mich einfach an‹ sagte.
Samantha stimmte vergnügt mit ein. Die Geschwister hatten die Tür schon fast erreicht, als Ricky die fast geleerte Flasche Bollinger erspähte.
»Sieh an, sieh an«, brummte er mit seiner Böser-Junge-Stimme.
»Bedien dich. Mir ist ein bisschen flau im Magen, ich mag nichts mehr trinken, aber ich möchte auch nicht überpünktlich in der Kirche erscheinen. Wir haben noch ein paar Minuten Zeit.«
Ricky nahm Samanthas Glas und füllte es bis zum Rand mit dem restlichen Champagner.
»Lass es langsam angehen, alter Knabe. Das fehlte mir noch, dass du schwankst, wenn du mich zum Altar führst.«
Ricky leerte das Glas in einem Zug. »Ha! Da braucht es aber einiges mehr, bis bei mir das Deck schwankt!«
Samantha erstarrte. Ein Schatten flog über ihr Gesicht, was Ricky nicht entging. Er war für die Stimmungen seiner Schwester schon von Kindheit an sehr empfänglich gewesen.
»Keine Angst, Schwesterchen, ich bin nicht auf dem direkten Weg zum Alkoholiker. Ich bin dreißig, um Himmels willen. In dem Alter saufen die meisten Männer wie die Löcher.«
»Ja... aber Mummy...«
»Die Frau wurde schon als Schluckspecht geboren, sie ist nicht zu einem geworden, weil sie die letzten Reste aus Champagnerflaschen getrunken hat.« Dann wurde seine Stimme weicher. »Hast du mit ihr gesprochen, seit du sie zum letzten Mal gesehen hast?«
»Nein, und das ist jetzt einen Monat her. Sie hat mich wie üblich nur angebrüllt und beschimpft, und da habe ich mich umgedreht
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