Zurueck ins Glueck
Handschrift ihrer Mutter. Samanthas erster Gedanke ging dahin, dass Kathleen vermutlich betrunken gewesen war, als sie sie verfasst hatte. Manches im Leben ändert sich nie, dachte sie, als sie zu lesen begann. Liebe Samantha, keine Angst, ich werde nicht wieder versuchen, mich in dein Leben zu drängen; ich weiß, dass darin kein Platz für mich ist . Wider besseres Wissen keimten sofort Schuldgefühle in Sam auf, die sie energisch zu unterdrücken versuchte. » Aber ich hielt es für richtig, dir eine Kopie des beigefügten Briefes zu schicken, damit du weißt, dass ich die Wahrheit gesagt habe .« Was führt sie denn jetzt schon wieder im Schilde, überlegte Samantha mit einem Anflug von Panik. Hat sie noch eine Bombe in petto, die sie jetzt platzen lassen will? Sie las weiter. » Du wirst es mir zwar
nicht glauben, aber ich liebe dich von ganzem Herzen, und ich vermisse dich schrecklich. Ich besuche jetzt übrigens regelmäßig die Treffen der Anonymen Alkoholiker hier in Salthill. Alles Liebe, Mum .«
»Na, das ist doch schon einmal ein Anfang«, entfuhr es Samantha.
»Wie meinst du das?«, rief Wendy von ihrem Zimmer aus.
»Mum geht neuerdings zu den Anonymen Alkoholikern.«
»Wow. Vielleicht hört sie ja nach all den Jahren doch noch mit dem Trinken auf.«
»Ich glaube nicht mehr an Wunder.«
»Verdammt, ich kann mein Handy nicht finden. Ich muss es im Auto liegen gelassen haben«, schimpfte Wendy, als sie in das große Wohnzimmer zurückkam. »Bin sofort wieder da.« Sie stürmte aus der Wohnung.
»Dein Essen wird kalt«, rief Sam ihr nach, schob ein Stück Huhn und eine weitere kleine Kartoffel in den Mund und überflog den zweiten Briefbogen. Es handelte sich zweifellos um eine Fotokopie. Als Erstes stach ihr die Absenderadresse ins Auge. Dunross, Fiddler’s Point, Co. Wicklow.
Der Brief stammte von James Judge.
»Jesus«, flüsterte sie, als sie zu lesen begann. » Sehr geehrte Mrs. Garcia, bezüglich Ihres Schreibens muss ich Ihnen mitteilen, dass ich beim besten Willen nicht weiß, worauf Sie eigentlich hinauswollen. Da es niemals zu einem physischen Kontakt zwischen uns gekommen ist, kann ich jede Möglichkeit, dass Sie ein Kind von mir erwarten, definitiv ausschließen. Sollten Sie auf dieser Behauptung beharren, sähe ich mich gezwungen, einen
Prozess wegen Rufschädigung und übler Nachrede gegen Sie anzustrengen. Da Sie sich offenbar mit Ihrer momentanen Situation nicht abfinden können, schlage ich vor, dass Sie einen Schwangerschaftsabbruch in England in Erwägung ziehen. Bitte sehen Sie davon ab, in dieser Angelegenheit je wieder an mich heranzutreten. Mit freundlichen Grüßen, James Judge.
Samantha spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Da sie einige Jahre mit James zusammengearbeitet hatte, bevor dieser in den Ruhestand gegangen war, kannte sie seine Unterschrift gut. Für sie bestand kein Zweifel daran, dass er diesen Brief unterzeichnet hatte. Waren das wirklich die Worte ihres Vaters? Des Mannes, der ihr am Montag so viel liebevolles Verständnis entgegengebracht hatte?
Also hatte er doch die ganze Zeit von ihrer Existenz gewusst und es glaubhaft zu vertuschen versucht!
»Sie kommt heute Abend nicht nach Hause – wieder mal nicht«, beschwerte sich Wendy, als sie die Wohnungstür hinter sich zuknallte. »Allmählich reicht es mir! Sie hat mir eine kurze Nachricht auf die Mailbox gesprochen. Wenn sie es für nötig befunden hätte, mir rechtzeitig Bescheid zu geben, hätte ich mir nicht so viel Mühe mit dem Essen gemacht.« Sie durchquerte das Wohnzimmer und blieb vor Samantha stehen. »Alles in Ordnung, Sam? Du bist weiß wie ein Laken.«
Samantha reichte ihr den Brief. »Er wusste es«, sagte sie schlicht.
»Wer wusste was?« Wendy überflog das Schreiben.
»James Judge der Zweite von Gottes Gnaden. Er wusste, dass Kathleen Garcia – Mum – schwanger war. Und mir hat er geschworen, keine Ahnung gehabt zu haben. Himmel, Wendy...« Sie begann leise zu schluchzen.
»Dieser Dreckskerl! Er wollte Mum zu einer Abtreibung bewegen. Von wann ist der Brief?«
»Vom 30.9.1969. Und deine Mutter hat ihn all diese Jahre aufbewahrt?«
»Könnte es sich um eine Fälschung handeln? Meinst du, Mum würde so weit gehen?«
»Ehrlich gesagt weiß man das bei deiner Mutter nie, Sam. Das hier ist eindeutig eine Fotokopie, aber sie sieht echt genug aus. Vergiss nicht, dass James vor deiner geplatzten Hochzeit gar nicht wusste, dass du eine Garcia bist – er dachte, dein Nachname lautet
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