Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)
Zeit zu lassen, um zu trauern. Um Cat und ihre Tochter. Um Angel. Aber sie trauert nicht. Sie mauert sich und ihre Gefühle ein. Meist ist sie geistig völlig abwesend. Meinen Gesprächen weicht sie aus und wenn sie etwas äußert, sind ihre Worte absolut nichts sagend. Sie lässt mich in dem Glauben, sie würde mir zuhören, dabei nimmt sie kein einziges Wort davon wahr und hängt stattdessen ihren eigenen Gedanken nach, zu denen sie mir den Zugang verwehrt. Sie will sich nicht helfen lassen. Zumindest nicht von mir. Möglicherweise kann sie es auch gar nicht. Ich weiß einfach nicht mehr weiter.“
„Ihr seid Freunde. Und ich habe euch beobachtet, Danilo. Sie vertraut dir.“
„ Nein, tut sie nicht“, widersprach Danilo müde. „Ich kann es ihr nicht verdenken, dass sie mir die Schuld an dem ganzen Schlamassel um Angel gibt, um den Tod von …“
„ Grundgütiger, rede dir nicht so etwas ein!“
Weil er merkte, wie auch sein Nervenkostüm immer dünner wurde, öffnete der Professor ein Schubfach seines Schreibtisches und zog eine Flasche Cognac hervor. „Ich hoffe, das bleibt unter uns.“ Er goss einen großzügigen Schluck in seinen Kaffee und reichte Danilo die Flasche.
„Seit wann eigentlich hat Karo nicht mehr gesprochen?“
„ Seit wann sie … “
M it zusammengekniffenen Augen überlegte Danilo, ging seine Erinnerungen an die letzten Stunden und Tage durch. Wochen. Wochen?! Bislang war ihm nicht bewusst gewesen, dass Karo seit Wochen bloß noch schwieg. Er hatte es verdrängt. Abgetan als einen vorübergehenden Ausdruck der Trauer und des Verlusts. Er hatte sie nicht bedrängen und unter Druck setzen wollen.
„Ich weiß nicht . Sie ist ständig unterwegs. Ich habe keine Ahnung, was sie in dieser Zeit tut oder wo sie sich aufhält. In der Uni? Im Krankenhaus? Irgendwo. Manchmal begegnen wir uns den ganzen Tag nicht. Wenn ich sie zum Essen hole, wir einkaufen gehen …“ Abrupt hielt er inne und schlug sich an die Stirn. „Es ist mir nicht aufgefallen. Es war mir nicht bewusst, dass tatsächlich ausschließlich ich rede. Sie antwortet mit den Augen, mit einem Kopfnicken.“ Er stöhnte gequält auf. „Nein, meist reagiert sie gar nicht. Sie ist wie betäubt und handlungsunfähig vor Schock, in einem Schmerz jenseits aller Tränen gefangen, sodass einem angst und bange wird. Es ist, als hätte sie aufgehört zu leben. Und ich … verflucht, ich habe es nicht für wichtig erachtet, darüber mit Ihnen zu reden. Ich war viel zu sehr mit mir und meiner grenzenlosen Wut auf Angel beschäftigt, um es zu bemerken.“
Unruhig wanderte der alte Chefarzt auf und ab. Seine buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen. „Danilo, du bist der Letzte, der sich Vorwürfe machen sollte. Ich halte es für das Beste, wenn sich ein Psychologe Frau Seiler ansieht.“
Danilo lachte bitter und blickte den Professor voller Zweifel an. Dann ballte er die Hände zur Faust, um seinem ausgestreckten Zeigefinger den Weg zu seiner Stirn zu verbauen.
„Klar , diesem Vorschlag wird sie sicherlich zustimmen. Professor! Als wüssten Sie nicht selbst, dass Karo seit Doktor Bertrams Erscheinen eine geradezu mörderische Abneigung gegen Psychologen hegt.“
„Wir müssen vor allem an die Babys denken. Was soll aus ihnen werden, wenn sie aus der Klinik entlassen werden können , Karo aber so gar kein Interesse an ihnen zeigt? Wie will sich Karo um die Jungs kümmern, wenn sie mit sich selber nicht klarkommt?“
Erschöpft von der langen Nacht sahen sich die beiden Ärzte schweigend an. Alles wäre anders gekommen, hätte es das plötzliche Verschwinden Angels nicht gegeben.
Als hätte der Professor Danilos Gedanken gelesen, erkundigte er sich: „Hat dich Kommissar Richter in der Zwischenzeit angerufen? Wollte er sich nicht bereits gestern melden, um uns über das Ergebnis seiner Ermittlungen zu informieren?“
Danilo biss die Zähne dermaßen heftig aufeinander, dass sie knirschten. Kaum hörbar verneinte er, wobei er jeglichen Blickkontakt mit dem Älteren vermied.
Doch in Professor Vogels Hirn läuteten bereits die Alarmglocken. Misstrauisch bohrte er nach: „Gibt es etwas, von dem ich wissen sollte?“
Wie ein Fisch auf dem Trockenen wand sich Danilo um eine Antwort. Nervös strichen seine Finger über das kurze Haar.
„Haben wir kein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren?“
Dem jungen Mann blieb ein leidenschaftlicher Protest im Hals stecken. Er wusste, wie berechtigt der Vorwurf des Chefarztes war, und
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