Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)
von den Ärzten noch vor wenigen Tagen auf die Ankunft der neuen Erdenbewohner vorbereitet worden war. Kein Lachen war zu hören, keine Stimmen oder Schritte, die die Treppen herunter polterten. Niemand drehte das Radio bis zum Anschlag auf oder klapperte mit Geschirr. Einzig Erinnerungen erfüllten dunkel und schmerzlich die Räume.
In irrsinniger Eile hat te Karo die Wohnung geräumt, die sie vor vier Jahren mit Cat und Türzu bezogen hatte. Vor vier Jahren, als die Welt für sie so wunderbar in Ordnung und voller Träume war, als weder Angst und Lügen noch Trauer und Verlust ihr Leben beherrschten und sie die Zukunft für berechenbar hielt. Mit derselben Geschwindigkeit, in der sie jetzt die Kisten und Kartons aus der verwaisten Wohnung trug, um sie in Danilos Auto zu verstauen, verbannte sie sämtliche Gefühle und Erinnerungen aus ihrem Herz. Als sie endlich einen letzten Blick durch die leeren Zimmer schweifen ließ, fühlte auch sie sich leer, wie ausgehöhlt – tot. Tot wie ihre beste Freundin. Tot wie ihre Tochter.
Doch sie lief immer weiter, unaufhörlich , immer schneller, bis sie schließlich allen entkommen war und sogar vor sich selbst davonrannte. Es schien, als würde sie von einem unsichtbaren Motor angetrieben, der ihr nicht eine Minute Ruhe gönnte. Auf der Suche nach dem Vergessen hatte sie ihr unterbrochenes Studium sofort nach ihrer Entlassung aus der Klinik wieder aufgenommen. Mit einem an Besessenheit grenzenden Eifer saß sie viele Stunden über den Büchern und zwang sich zu konzentriertem Arbeiten.
Abgehetzt und erschöpft stand sie abends vor den Inkubatoren ihrer Babys. Winzig klein, mit fast durchsichtig scheinender Haut lagen sie hilflos vor ihr. Sie sehnte sich beim Anblick der Kinder nach den sanften Berührungen ihres Mannes. Wie gerne wollte sie diese Zärtlichkeit an die Babys weitergeben, die Liebe und Wärme, die sie in Angels Nähe empfunden hatte. Doch sie fühlte nichts mehr. Sie hatte vergessen, wie es war, von starken Armen gehalten zu werden. Die Tage seit Angels Verschwinden verrannen und mit ihnen verblassten die Erinnerungen an die kurze Zeit, die sie mit ihm glücklich war. Kaum merklich zunächst entfernte sie sich nicht allein von ihrem Mann, sondern ebenfalls von ihren Kindern und Freunden – und sie machte genauso wenig vor sich selbst Halt.
Mit jedem Besuch auf der Säuglingsstation wurde sie schmerzhaft daran erinnert, dass sie Catherine ein zweites Mal verloren hatte. Das Mädchen, welches den Namen von Karos Freundin tragen sollte, hatte die Geburt nicht überlebt. Voll Unbehagen spürte sie die mitfühlenden Blicke der Ärzte und Schwestern. Immer weniger ertrug sie deren Nähe, bis Karos Anwesenheit in der Klinik von eisigem Schweigen beherrscht wurde. Sogar Danilo wich sie aus, denn im Unterbewusstsein gab sie ihm die Schuld an Angels Verschwinden. Schließlich nannte er ihn seinen besten Freund. Er hätte Angel von dieser Reise abhalten können. Er hätte den Professor überreden können, einen anderen zu dem Kongress zu schicken. Und Danilo hatte auf sie und die Kinder aufpassen wollen, solange Angel nicht zu Hause war.
Karo wusste, dass sie ihm damit Unrecht tat, trotzdem fehlte ihr die Kraft, etwas daran zu ändern. Ihre Gefühle waren wie ihr Leben total aus der Bahn geraten.
Danilo stand Karos ablehnendem Verhalten vollkommen hilflos gegenüber. Er versuchte sie mit allen Formeln zu trösten, die sich Psychologen und Ärzte, Trauerberater und andere schlaue Leute ausgedacht hatten, um den Verlust eines geliebten Menschen erträglich zu machen. Bei Karo allerdings versagten sie samt und sonders. Sie ließ sich nicht trösten, weil sie es nicht wollte. Mit wachsendem Entsetzen beobachtete Danilo, wie sie jede Brücke zwischen ihnen zerstörte, die er mühsam und vorsichtig immer wieder zu errichten versuchte.
„Karo. Bitte, wach auf.“ Danilo flüsterte behutsam ihren Namen, um sie nicht zu erschrecken.
Es widerstrebte ihm, sie zu nachtschlafen der Zeit wecken zu müssen, wusste er doch nur zu gut, wie spät sie am vergangenen Abend aus dem Versuchslabor der Universität nach Hause gekommen und danach noch lange ruhelos umhergewandert war. Sie litt unter permanenter Schlaflosigkeit und wandelte jede Nacht wie ein kleines Gespenst durch Angels Haus, in das sie ihm widerstandslos gefolgt war, nachdem er die Sache in die Hand genommen und ihr Zimmer bei Familie Wichmann und in der Wohngemeinschaft geräumt hatte. In manchen Nächten fand sie
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