Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)
selbst die Wahrheit erkennen. Dann schob sie ihre Hände auf die Stelle seines Mantels, unter der sein Herz hektisch vor sich hin stolperte. Überrascht blickte sie auf. Sie hatte nicht damit gerechnet, eine derart eindeutige Antwort zu erhalten. In dieser Sekunde traf sie die Überzeugung, dass ihre Worte auf fruchtbaren Boden fallen würden.
„Du bist rücksichtslos gegen dich selbst! Hast du dir vor fünf oder zehn Jahren vorgestellt, dass dein Leben auf diese Art und Weise an dir vorbeizieht? Wie lange willst du das durchhalten? Du kommst aus der Übung, wenn du dein Herz nicht benutzt, und dann rettet dich auch deine Vernunft nicht mehr vor dem Untergang! Verstehst du das nicht?“
Oh doch, Karo, ich weiß Bescheid. Du warst deutlich genug und ich konnte dich verstehen. Du hast mich längst durchschaut, ich h ätte es merken müssen. Gnade mir Gott, denn ich liebe dich!
„Niemand trauert ewig, Danilo. Aber ich werde ihn nicht vergessen.“
„Ich weiß.“
„Kannst du das ertragen? Dass ich Angel für immer in meiner Erinnerung habe? In meinem Herzen?“
„Ich liebe dich“, sagte er sanft. „Schon so lange. Und ich bin fest entschlossen, bis an mein Lebensende mit dir und deinen Erinnerungen zu leben. Angel gehört doch genauso zu meinem Leben. Wie sollte ich das also nicht ertragen können?“
3 5. Kapitel
Ein markerschütternder Schrei hallte durch den verlassenen Gang. Sina Bertram erschreckte beinahe zu Tode, als sie seine Stimme hörte, das grauenvolle Stöhnen und Schluchzen. Sie eilte die Stufen in den Keller hinab und riss die Tür zur einzigen belegten Zelle auf.
„ Angel! Was ist? Was hast du?“
Sie achtete nicht auf den Unrat, der den Boden bedeckte, sondern ging neben ihm in die Hocke. Sacht berührte sie die schweißnasse Stirn des Mannes, der nackt auf dem blanken Boden lag, am ganzen Körper bebte und sich immer wieder vor Schmerzen krümmte. Seine Pupillen waren unnatürlich geweitet und ließen seine blauen Augen tiefschwarz erscheinen. Ihr Herz setzte einen Moment aus, als sie seinen rasenden Puls fühlte und in die starren, um Hilfe flehenden Augen blickte.
„Gib … mir … etwas …“, presste er unter größter Anstrengung hervor und seine Stimme war nicht mehr als ein schwacher Windhauch. „Ich … will …“
„Warte, ich bin gleich zurück. Es dauert nur einen Moment.“
Sie lief zu dem Raum, in dem die Wachmannschaft hauste und der in letzter Zeit meist leer stand, weil der Marquess die ständige Anwesenheit der beiden Amerikaner in seinem Haus nicht mehr für erforderlich hielt. Im Wandschrank fand Sina eine verschlossene Flasche Wasser und saubere Pappbecher. Noch im Laufen kramte sie aus ihrer Hosentasche ein Röhrchen und entnahm ihr mehrere verschiedenfarbige Tabletten.
„Angel ?“ Sie schob ihre Hand unter seinen Nacken und hob seinen Kopf vorsichtig an. „Mach die Augen auf, Angel. Sieh mich an und versuche das zu trinken. Komm schon.“
M it einer unwilligen Kopfbewegung stieß er den an seine Lippen gehaltenen Becher fort, sodass die Flüssigkeit ausschwappte.
„Du musst trinken“, drängte sie sanft. „Ich habe ein paar Vitamine und Mineralien darin aufgelöst. Angel, du wirst sterben! Du bist vollkommen dehydriert. Bitte, ich flehe dich an, trink endlich!“
„Ich … will etwas … gegen … gib mir …“ Seine Worte gingen in einem furchtbaren Keuchen unter.
„Sei vernünftig, ich kann dir nichts mehr spritzen. Das ist pures Heroin und in einer Dosis, die dich umbringen wird. Du musst davon wegkommen.“
Eine neue Welle unsäglicher Schmerzen rollte an und schlug mit solcher Gewalt über ihm zusammen, dass er wimmerte und schluchzte. Sein Atem ging stoßweise und hob und senkte seine Brust in mörderischem Tempo.
Wie aus weiter Ferne hörte er Sinas leiser werdende Stimme: „Du hyperventilierst!“ Dann fühlte er zwei Hände, die ihm etwas über Nase und Mund stülpten. Seine Augen verdrehten sich, der Kopf fiel schlaff zur Seite, um gleich darauf konvulsivisch zu zucken. Immer wieder schlug sein Schädel hart auf den Boden, obwohl sich Sina mühte, seinen Kopf festzuhalten und vor den Schlägen zu schützen.
„Lass das, Angel. Hör auf damit und mach die Augen wieder auf! Bleib hier!“ Wie besessen schüttelte sie den verkrampften, mageren Körper des Gefangenen, dem unaufhörlich Speichel aus dem Mund lief. „Oh, mein Gott, Angel, sieh mich an! Rede mit mir!“ Verzweifelt schrie sie ihn an, schlug ihm ins Gesicht, um ihn
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