Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)
bei Bewusstsein zu halten.
Aber er konnte sie nicht mehr hören.
„Was machst du hier?“
Mit einem Aufschrei fuhr sie herum. Wie stets hatte der Marquess sich völlig lautlos angeschlichen und ergötzte sich jetzt daran, dass sie vor ihm zurückwich.
„Dein Interesse an dem Kerl missfällt mir zunehmend , Schätzchen. Vielleicht sollten wir uns einmal ernsthaft darüber unterhalten.“
„Ich dachte …“
„Was? Du dachtest?“, schnauzte er und packte so viel Sarkasmus in seine Stimme, wie darin nur Platz hatte. „Es interessiert mich nicht, was du dachtest oder wolltest! Hoch mit ihm!“, brüllte der Marquess die beiden Amerikaner an, die gemächlich hinter ihm her getrottet kamen und Angel an das Andreaskreuz lehnten, um ihm die Hand- und Fußgelenke in die Eisenringe zu schließen. Sein schlaffer Körper sackte in sich zusammen.
Der Anblick des einst durchtrainierten, muskulösen Mannes trieb Sina Bertram die Tränen in die Augen. Nichts erinnerte mehr an den blendend aussehenden Arzt, den sie begehrt hatte. Nichts war geblieben von den stahlharten Muskeln unter der seidig glänzenden Haut. Unzählige frische Narben und kaum verheilte Wunden auf seinem knochigen Körper würden ihn für den Rest seines Lebens an das Martyrium der vergangenen Monate erinnern.
Vorausgesetzt , er überlebte diesen Kerker.
Noch deutlich zu erkennen waren die Spuren, als sie ihm den Namen seiner Frau unauslöschlich in sein Herz geschrieben hatten. So spottet en sie, als sie ihn auspeitschten. Erst hatte Baker mit der rechten Hand geschlagen und danach David, der Linkshänder war. Bei fünfzig hatte Angel aufgehört zu zählen. Immer häufiger verlor er das Bewusstsein, setzten sich seine Hirnfunktionen über den Schmerz hinweg, bis er in einen Zustand der Apathie verfiel.
Doch ein ums andere Mal hatten sie ihn mit kaltem Wasser übergossen und an die Oberfläche zurückgerissen. Aus den kreuzweise geführten Hieben wurden Karos, bis von seiner Haut nur noch eine einzige blutende Masse übrig geblieben war.
Irgendwann hatte er angefangen zu schreien , um den Schmerz und den Schock zu mildern. Er hatte geschrien und gefleht, sie mögen ihn endlich töten. Er hatte geschrien angesichts seiner ohnmächtigen Hilflosigkeit und der unermesslichen Qualen, aber genauso vor Wut, seinen Peinigern diesen Triumph über ihn geschenkt zu haben. Denn er hatte erkannt, dass die Schmerzen seine Seele gezwungen hatten, ihre einzige Zuflucht, die vorgebliche Gleichgültigkeit, zu verlassen und sich geschlagen zu geben.
Im Laufe der Monate hatten sie wieder und wieder neue Martern für ihn ersonnen, eine grausamer als die andere, der Abwechslung halber, wie sie höhnten, um den starken Körper zugrunde zu richten. Die Drogen, die sie ihm zwischen den Heroinspritzen verabreichten, waren eine Mischung aus Adrenalin und Digitalis. Damit schlug sein Herz weiter und er blieb bei Bewusstsein, während sie ihn nach allen Regeln der Kunst bearbeiten konnten. Sie vernichteten seinen Stolz, demütigten ihn und zerstörten seine Seele. Mit seinem verzweifelten Flehen um den erlösenden Tod hatten sie den Beweis, dass sie seinen Willen gebrochen hatten.
Seitdem hatte Sina Bertram fieberhaft überlegt, wie sie Angel helfen konnte. Sie musste ihn retten! Seit er sich in der Gewalt des Marquess’ befand und mehr Gift als Nahrung vorgesetzt bekam, hatte er stark an Gewicht verloren. Während er vor seiner Entführung stets auf millimeterkurz geschnittenes Haar Wert gelegt hatte, hing es ihm jetzt lang und verfilzt bis auf die Schultern. Dichte, dunkle Locken, durch die sich bereits silberne Fäden zogen, ließen sein Gesicht noch bleicher erscheinen. Seine Wangen und Schläfen waren eingefallen und tiefe Schatten lagen unter seinen trüben Augen.
Der Marquess indes beobachtete die Ärztin von Mal zu Mal argwöhnischer, wenn sie mit etwas Suppe und Brot oder einer Flasche Wasser in den Keller hinab stieg, um Angel in seinem Verlies aufzusuchen oder ihn in den Duschraum zu führen, gerade so, als könnte er ihre Gedanken an eine Flucht lesen.
Die schneidende Stimme des Marquess riss Sina aus ihren Gedanken. „Nun, wenn unsere Frau Doktor der Meinung ist, dass der Junge etwas trinken muss, dann sollten wir ihm den Gefallen tun, nicht wahr? Hol Wasser!“, herrschte er Vidor an und zeigte auf einen Kübel in der Ecke des Folterkellers.
Grinsend verschwand der Amerikaner und war kurz darauf mit gefülltem Eimer zurück.
„ Mach schon, weck ihn
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