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Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)

Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)

Titel: Zurück ins Licht (Das Kleeblatt) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansi Hartwig
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damit fertig wurde. Er war todkrank, ein hilfloser Krüppel. Aber noch lag er nicht unter der Erde, dass sie mit ihm machen konnten, was sie wollten! Noch hatte er ein gewichtiges Wort mitzureden.
    „Nic?“ Angel räusperte sich. „Ich werde es versuchen, ja?“
    Zögernd tastete er nach der Hand des Jungen, fuhr sacht und unendlich zärtlich über seine Arme und Schultern. Er hörte das Kind leise kichern. Irritiert ließ Angel die Hand sinken.
    „Das kitzelt, Papa. Und jetzt musst du dir noch mein Gesicht ansehen.“ Bei diesen Worten ergriff er resolut die rechte Hand seines Vaters und legte sie auf seinen Kopf.
    „Du hast Locken“, stellte Angel überrascht fest. „So wie ich.“
    Er hörte, wie Nic vor Freude auf und nieder hüpfte und begeistert in seine Hände klatschte, und musste unwillkürlich schmunzeln.
    „Du kannst ja wirklich sehen!“
    Ja, dachte Angel, es geschehen Wunder. Ich kann dich tatsächlich lachen sehen, Nic, mein Sohn. Mein … Sohn. Seine Augen brannten und verlegen blinzelte er die Tränen auf seinen Wimpern weg.
    „Nur deine Haare sind viel länger als meine.“
    Angel zuckte zusammen und nickte peinlich berührt. Er hatte seine Locken schon als Kind gehasst, auch wenn er sich den Grund dafür nicht erklären konnte. Gleichwohl war die Erinnerung daran mit Schmerzen, unsäglichen Schmerzen verbunden. Und doch hatte er sich bislang strikt geweigert, sich zum Friseur der Klinik bringen und die Haare schneiden zu lassen. Er konnte sich nicht entscheiden, ob er damit ein äußeres Zeichen dafür setzen wollte, dass sich für ihn alles geändert hatte. Oder hatte ihn seine Abneigung, wieder alltägliche Dinge in seinem Leben zuzulassen, wie sie vor seiner Entführung normal waren, davon abgehalten? Denn sein Leben verlief nicht mehr normal! Er würde nie wieder ein normales Dasein führen können. Selbst kurze Haare würden daran nichts ändern.
    „Zauberer müssen nämlich auch essen“, plapperte der Kleine munter weiter und riss Angel aus seinen düsteren Gedanken.
    „Wie bitte?“
    „Die Schwester sagt immer, du sollst essen. Das musst du machen, weil du mich sonst nicht so hoch werfen kannst, wie der Dani den Luc immer in die Luft wirft. Und deine Arme sind ganz dünn.“
    Angel spürte mit körperlicher Schwere die abschätzenden Blicke seines Sohnes und musste sich dazu zwingen, seine Hände nicht unter der Bettdecke zu verstecken. Unauffällig zog er die Ärmel seiner Pyjamajacke über die Handgelenke.
    „Du hast bestimmt keine Kraft.“
    Wieder nickte Angel. Die schonungslose Offenheit des Jungen erschreckte und faszinierte ihn zugleich.
    „Ich habe keine Kraft mehr, das ist wahr.“ Seine Stimme klang müde und resigniert und bat um Entschuldigung bei seinem Sohn. „Dabei wärst du bestimmt ein ganz toller Flieger.“
    „Soll ich dir beim Essen helfen? Ich kann das , weil ich nämlich schon groß bin.“
    Natürlich, Nicolas hatte seinen Wutanfall vor ein paar Minuten miterlebt! Vielleicht hatte er sogar von Danilo oder Erika oder sonst irgendjemandem aufgeschnappt, dass er sich weigerte zu essen. Wie konnte sein Sohn verstehen, dass dies für ihn die einzige Möglichkeit war, sein Ende nicht noch weiter hinauszuschieben?
    Der Junge nahm den Teller vom Nachttisch. Seine Zunge schob sich vor Eifer zwischen die Zähne, als er mit leuchtenden Augen seinem Vater die Gabel in die Hand drückte. „Was ist das? Mami kocht nie so was.“
    A ngel hörte, wie Nicolas an dem Essen schnupperte und dann zufrieden brummte.
    „Kann deine Mami gut koc hen?“, versuchte er abzulenken. Ihm war, als könne er noch vor einer Antwort das belustigte Grinsen auf dem Gesicht des Kindes sehen. Mit scheinbar bedeutungsloser Geste ließ er die Gabel auf die Bettdecke sinken. Vorsichtig zog er seine Hand zurück, als hätte er Angst, sich an dem Metall zu verbrennen.
    Und tatsächlich plapperte Nic ungehemmt weiter: „Manchmal schon. Eri macht das viel besser , aber das sage ich der Mami nicht, weil das nämlich ein Geheimnis ist. Ein Geheimnis von Männern, hat Dani gesagt. Und da dürfen wir ausnahmsweise schwindeln.“
    Daniel Düsentrieb – sein Bruder mit immer neuen verrückten Ideen. Angel lächelte in Erinnerungen gefangen. Seine Kinder hatten mit Danilo offenbar denselben Spaß wie er vor dreißig Jahren. Ein Seufzer entrang sich seiner schmerzenden Brust. Er wollte nicht länger allein sein! Der physischen Folter war er entkommen, seine Einsamkeit indes war die schlimmste aller

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