Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)
Ungeachtet seiner lebensgefährlichen Verletzungen hatte er die blutüberströmte Susann Seiler auf den Rücksitz seines Autos gepackt und war mit aufgestecktem Sondersignal ins Krankenhaus gerast, ohne auf den Krankenwagen zu warten, der bereits zur Unfallstelle unterwegs war. Und dann hatte Angel Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, die halbe Klinik in Aufruhr versetzt und gerade so getan, als läge die Fremde im Sterben.
Er hätte es nie zugegeben , trotzdem wurmte den Professor, dass Angel in Herzensangelegenheiten Oberschwester Erika als Ratgeberin bevorzugt hatte. Als ob er ihm weder Herz und Gefühl noch Ahnung von diesen Dingen zutraute. Nur weil er sich nie ernsthaft an eine Frau hatte binden wollen, sondern mit seiner Klinik verheiratet war, hieß das doch nicht, dass er selbst kein Herz besaß!
N un indes stand er Susann Seiler gegenüber. Wenngleich ihre Größe nicht anders als überdurchschnittlich bezeichnet werden konnte – übrigens genau wie die von Angel, also völlig in Ordnung –, machte sie einen eher unscheinbaren Eindruck. Ihr kurzes Haar hätte einen modischeren Schnitt und etwas Farbe vertragen. Selbst mit ihrer Figur war kein Blumentopf zu gewinnen, trotzdem unternahm sie offenbar nicht die geringste Anstrengung, um gewisse körperliche Unzulänglichkeiten durch vorteilhafte Kleidung zu kaschieren. Susann schien sich wohl in ihrer Haut zu fühlen, was deutlich an ihrer offenen und selbstsicheren Art zu erkennen war. Sie schien zufrieden, glücklich und eins mit sich und der Welt und damit bestens geeignet für die Angelegenheit, die in seinem Hinterkopf Gestalt annahm.
Verschmitzt schob sich eine seiner buschigen, grauen Augenbrauen in die Höhe. Eines wusste er nach dieser Begegnung mit der Studentin sicher: Nie wieder würde er Erikas Beobachtungsgabe anzweifeln. Das Mädchen war ihm auf Anhieb sympathisch. Kein Wunder, dass Schwester Erika in den höchsten Tönen von ihr sprach.
Und sich Angels Verstand zu einer Brezel verbogen hatte.
„Angel atmet nicht selbständig …“
„Aber weshalb …“
„… deswegen“, fuhr er leise und für den Bruchteil einer Sekunde in einem schärferen Ton fort, „pumpt die Maschine in regelmäßigen Abständen eine gleich bleibende Menge Sauerstoff über diesen Schlauch in seine Lunge.“
Einen Moment lang starrten sie sich an, jeder bereit den Kampf aufzun ehmen und für sich zu gewinnen.
Susann war fest entschlossen , die Wahrheit zu erfahren.
Professor Vogel wollte nichts anderes, als seinen Patienten retten.
Unruhig trat Susann von einem Fuß auf den anderen. Natürlich wusste sie, wie unhöflich es war, den Älteren – noch dazu einen Professor! – zu unterbrechen. Aber sie wollte endlich Antworten! Sie schnaubte unwillig, gab dann jedoch klein bei. Nur dieses eine Mal! schwor sie sich. Immerhin saß er am längeren Hebel und sie befand sich lediglich seines guten Willens wegen hier.
„Tut das nicht weh, ständig dieses Ding im Hals zu haben?“
Wortlos überging der Professor ihren kurzzeitigen Trotzanfall. Seine Stimme klang so freundlich wie zuvor, als er meinte: „Wenn Angel aufwacht, wird er möglicherweise Schwierigkeiten mit dem Sprechen haben, weil der Sauerstoffschlauch auf die Stimmbänder und den Kehlkopf drückt, das ist richtig. Allerdings gibt sich das meist nach einer Weile wieder.“ Oder hätte er ihr gestehen sollen, dass ihm dieses Problem die geringsten Kopfschmerzen bereitete? „Für eine langfristige künstliche Beatmung wird aus diesem Grund eine Tracheotomie vorgenommen, also ein Luftröhrenschnitt, aber ich bin zuversichtlich, dass das bei Angel nicht nötig sein wird.“
„Und wofür sind all die anderen Schläuche in der Nase und Brust und die hier in den Armen? Es ist noch ziemlich verwirrend für mich.“
„Fragen Sie ruhig.“
„Welches waren die Elektroden zur Messung der Herzfrequenz un d des Blutdrucks? Und was zeigt der Monitor, wenn irgendeine Veränderung an seinem Zustand eintritt? Wissen Sie, ob er … ich meine, können Sie vielleicht … Man muss doch wenigstens in etwa abschätzen können, wie lange es dauern wird, bis er wieder alleine atmen kann oder zu Bewusstsein kommt. Oder nicht?“
Mit einem nachsichtigen Lächeln wandte sich der Professor zu Susann um. Er schaute sie an, als wäre es das erste Mal. Seine Hand legte sich Besitz ergreifend auf ihren Arm und seine Augen suchten ihren Blick.
„ Er , meine liebe Frau Seiler, heißt Angel und legt selber keinen
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