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Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)

Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)

Titel: Zurück ins Licht (Das Kleeblatt) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansi Hartwig
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Meisterwerk kreiert. Der Mensch dagegen hatte alles in seiner Macht Stehende getan und es weitestgehend zerstört. Sie hatte ihre Hand ausgestreckt und vorsichtig mit den Fingerspitzen die Narben berührt. Unzählige Narben, gezackte, runde, manche nur noch helle Striche, andere wiederum nicht älter als ein Jahr.
    Die Schwester hatte unsicher mit der Schulter gezuckt. Frag mich bloß nicht danach, hatte ihr zittriges Lächeln signalisiert, sodass Susann einmal mehr den Mund hielt.
    „ Kruzitürken, ich habe die CD ganz bestimmt eingesteckt!“, schimpfte sie, um Ablenkung bemüht, und fühlte, wie ihre Ohrenspitzen zu glühen begannen. „Wenn es dich nicht stört, spiele ich dir meine Lieblingsstücke vor. Solltest du sie nicht mögen, gibst du einfach Bescheid, okay? Das wäre lustig. – He, Mädchen, ich hasse Klassik! Stell das sofort ab!“ Sie kicherte und kam sich wie eine alberne Gans vor, als sie sich die mögliche Reaktion des Mannes bildlich vorstellte. Aber es gab keine Veränderung in den tiefen, gleichmäßigen Atemzügen, die ihm der Respirator aufzwang.
    „Ich stehe auf Beethoven. Halt mich meinetwegen für verrückt, doch in meinen Augen ist er einer der genialsten Menschen. Er kann sogar malen. He, he, he, du lachst ja schon wieder!“ Sie stupste ihm sanft mit dem Zeigefinger an die blasse Nasenspitze. „Klingt verrückt, ist aber so. Wenn es mit einem Bild partout nicht voran gehen wollte, ist es vorgekommen – und das, wohl gemerkt, mehr als nur einmal, sodass es wohl kaum einem Zufall zuzuschreiben ist –, dass er mir mit seiner gewaltigen Musik die fehlende Farbe gezeigt hat.“
    Gleich darauf legte sich ein Schatten über ihre Augen und sie murmelte: „Auf jeden Fall hört sich Beethoven s ogar für eingefleischte Hardrock-Fans erträglicher an als das Zischen und Schnaufen des verfluchten Respirators. Hilfe! Dass dir das nicht auf den Keks geht! Ich hätte den blöden Kasten an deiner Stelle längst abstellen lassen und lieber selbst geatmet. Ist gar nicht so schwer.“
    Freudestrahlend hielt sie endlich die CD in der Hand. „Simsalabim, wer sagt ’s denn? Sie war genau dort, wo sie nach dem Prinzip der maximalen Schweinerei hingehört – in der untersten Ecke meines Rucksacks! So, jetzt darfst du ausnahmsweise sogar mal still sein. Hör zu und gib mir deine Hand. Ich werde dir zeigen, wie das mit dem Atmen funktioniert.“
    Puuh , nie im Leben würde ich einem fremden Mann solch einen Unsinn erzählen! durchfuhr es sie. Ich verblöde tatsächlich. Und das Ärgste daran war, dass es ihr nicht einmal Schwierigkeiten bereitete, so etwas von sich zu geben.
    Aber er hat wirklich sehr schöne Hände, versuchte sie abzulenken. Hatte ich jemals einen Mann mit derart langen, schmalen Fingern? Vielleicht würde ich es ihm sagen. Bei diesen Händen …
    „Hörst du, olle Rübenhof gibt das Tempo vor.“ Behutsam, um die Kanülen nicht zu verschieben, legte sie Angels kraftlose Hand an ihre Brust und holte tief Luft. „Ein und aus. Ein und aus. Siehste, ganz simpel und genau so, wie ich es gesagt habe.“
    Sie musterte ihn erwartungsvoll. Irgendetwas, bitte, tu irgendwas! Zeig mir, dass du lebst! Dass du mich hörst und etwas fühlst. Die Berührungen meiner Hand, meinen Herzschlag, meine Stimme. Bitte, ein klitzekleines Zeichen, dass es nicht vergebens ist, was ich hier tue.
    „Wo versteckst du dich , Angel? Sag es mir. Und was, zum  Teufel, gibt es dort, das stärker ist als ich und es schafft, dich in der Dunkelheit festzuhalten?“, flüsterte sie. „Wovor fürchtest du dich, dass du nicht zurückkommen willst? Zu Erika und dem Professor? Zu mir. Du musst aufwachen, Angel. Bitte. Ich habe dir so viel zu sagen. So viele Fragen.“
    Resigniert seufzte sie. Es war alles umsonst. Was sie ihm auch erzählte, was immer sie mit ihm anstellte, er bekam nicht das Geringste davon mit. Sie hätte sich auf den Kopf stellen oder den tollsten Strip aufs Parkett legen können, sie hätte sogar …
    Vorsichtig legte sie seine Hand auf die Bettdecke zurück. Das tat sie wohl besser nicht! Ein Knoten in ihrem Magen zog sich zusammen. Doch wenn es anders nicht ging … Warum nicht? Der Zweck heiligte schließlich die Mittel. Und um Stojanow aufzuwecken, wäre ihr inzwischen so ziemlich alles recht.
    Verdrossen schnappte sie sich ihre Zeichenutensilien und skizzierte mit schnellen Strichen den Kopf des Bewusstlosen.
    „Es stört dich ja offenbar nicht. Alle anderen Männer haben sich immer erst eine

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