Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)

Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)

Titel: Zurück ins Licht (Das Kleeblatt) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansi Hartwig
Vom Netzwerk:
Locken, und schlug mit dem Kopf gegen die Wand, immer und immer wieder, bis ihm das Blut in die Augen lief. Selbst in solchen Momenten schien er keinen Schmerz zu empfinden, weinte nie. Nicht ein einziges Mal habe ich dieses kleine Kerlchen weinen sehen. Und das tat mir mehr weh, als hätte er sich wegen eines aufgeschrammten Knies oder einer kleinen Beule die Augen aus dem Kopf geweint.“
    „Ist das nicht unnormal?“
    „ Das ist es, in der Tat. Ein solches Verhalten wird oft bei sozial isoliert aufwachsenden Kindern beobachtet, die autoaggressiv handeln, um emotionalen Druck zu regulieren. Um sich selbst zu spüren. Als völlig gestört und bindungsunfähig haben ihn aus diesem Grund einige Voreilige abgestempelt und deswegen sogar dringend von einer Aufnahme in eine Pflegefamilie abgeraten. Daraufhin haben wir Angel eine Weile bei uns auf der Kinderstation behalten, um ihn aufzupäppeln.“
    Die Oberschwester zwinkerte Susann zu. „Was uns augenscheinlich gut gelungen ist, finden Sie nicht? Von wegen untauglich, sich in eine Familie zu integrieren! Er hat uns immer als seine Familie betrachtet und sich darin mehr als wohl gefühlt.“
    Susann war bei den Worten der alten Oberschwester immer blasser geworden. „Das ist ja furchtbar. Was war mit seinen Eltern? Hat man sie nie gefunden? Oder glauben Sie, sie haben ihn absichtlich … Irgendjemand muss ihn doch vermisst haben. Meine Güte, so ein winziges Kerlchen allein auf der Straße und niemand, der ihn haben wollte!“
    Mit wachsendem Entsetzen stellte sie sich das traurige Schicksal des kleinen Jungen vor, was ihr keine Mühe bereitete angesichts der Hilflosigkeit, mit der Angel in diesem Moment vor ihr lag. Das Herz wurde ihr schwer. Wie von alleine schob sich ihre Hand über seine kalten Finger, als könnte sie ihn damit vor den Erinnerungen an seine freudlose Kindheit schützen.
    „Nein, leider hat man seine Familie nicht gefunden. Es gab nicht den geringsten Hinweis auf seine Eltern. Die ermittelnden Beamten vermuteten illegale Einwanderer aus dem Osten, die ihn ausgesetzt hatten, zum Glück nicht irgendwo … tot auf einer Müllhalde, wie es so oft vorkommt. Angel kam in ein Kinderheim. An den Wochenenden holten wir ihn abwechselnd zu uns nach Hause, Professor Vogel, eine Schwester, die inzwischen verstorben ist, und ich. Das Krankenhaus und wir wurden seine Familie. Und sind es wohl noch heute. Er ist ein wunderbarer Mensch, glauben Sie mir.“
    Mit einer mütterlichen Geste legte die alte Frau ihre faltige Hand auf Susanns Arm und beugte sich über ihre Schulter, um die Skizze auf ihrem Schoß zu betrachten. Die Bilder erzählten von den Gefühlen der jungen Frau. Starken Gefühlen, derer sie sich nicht bewusst zu sein schien. Die weit über das Mitleid für ein ausgesetztes Kleinkind und einen schwerverletzten Mann hinausgingen.
    „ Das ist Ihnen gut gelungen, Frau Seiler. Erstaunlich, über welch außergewöhnliche Beobachtungsgabe Sie verfügen. Man möchte meinen, Sie kennen Angel schon ein Leben lang. Ich glaube, auch Sie sind ein ganz besonderer Mensch, Susann. Wenn jemand Angel helfen kann, dann sind Sie das.“
     
    Völlig aufgelöst stürzte Susann an diesem Nachmittag in die Wohnung, welche sie sich mit Catherine und Türzu teilte.
    „Halt!“
    Die hoch erhobene Hand ihrer Freundin , heute eher gutbürgerlich gewandet, was hieß, dass tatsächlich ein Großteil ihrer Haut bedeckt und ihr Haar in einem zahmen Aubergine-Ton gehalten war, ließ sie mitten in der Bewegung noch auf der Schwelle innehalten.
    „ Warten Sie einen Moment! Und nein! Nein, sagen Sie nichts. Ihr Gesicht kommt mir irgendwie bekannt vor. Und dieses Haar … also wirklich, dieses Haar … Ich bin mir ganz sicher, so etwas schon einmal gesehen zu haben.“ Cat kaute auf ihrer Unterlippe und kniff nachdenklich die Augen zusammen, während Susann ihre angewidert verdrehte.
    „Ich warne dich, Kleine“, knirschte sie und versuchte, ihrer vom Wind entstellten Matte eine minimale Restwürde zurückzugeben. „Kein Wort über meine Haare!“
    „Wir sind uns schon irgendwo mal begegnet. War’s vor drei Jahren? In Timbuktu, nicht wahr? Oder im vergangenen Jahr auf dem Bikini-Atoll?“
    „Es war vor genau vier Tagen beim Frühstück. Tut mir leid, wenn du erst dann nach Hause kommst, wenn ich bereits auf Achse bin. Also gib nicht mir die Schuld.“ Sie versetzte Cat einen freundschaftlichen Klaps auf den Hinterkopf und ließ sich im Schneidersitz neben ihr nieder. „Aber

Weitere Kostenlose Bücher