Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)
Worte dieser Welt.
Ungeachtet eines zaghaften Protestes stieß er sie grob an die Wand neben Angels Bett und keuchte im Befehlston: „Bleiben Sie da stehen!“
Ihre umherirrenden Augen verrieten, dass sie ihren Fluchtgedanken keineswegs aufgegeben hatte, sondern lediglich auf einen günstigen Moment wartete, wenn der Professor durch seine Arbeit lange genug von ihr abgelenkt sein würde. Er warf Karo einen schrägen Blick über die Schulter zu, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
„Wagen Sie es nicht! Wagen Sie ja nicht, sich auch bloß einen Millimeter vom Fleck zu rühren!“, knurrte er mit einer Gefährlichkeit, die ihr eine Gänsehaut bescherte. „Denken Sie nicht einmal im Traum daran!“
„Puls wird unregelmäßig. Keine Atmung, Professor!“
„Intubieren! Schnell!“
Unter seinem warnenden Blick, der Karo höchstens den Bruchteil einer Sekunde, nichtsdestoweniger schmerzhaft wie ein Blitzschlag traf, zuckte sie zusammen.
„Wir verlieren ihn!“
„Nein! Nein, das werden wir ganz bestimmt nicht!“
„Kein Puls mehr! Flat-Line!“
Der gellende Aufschrei einer Krankenschwester direkt neben Karo bewirkte, dass ihr Blut in den Adern erstarrte. Sie fühlte, wie ihr Magen rebellierte und ihre Hände zu zittern begannen. Hastig verschränkte sie sie hinter dem Rücken und biss sich auf die Unterlippe.
„Defibrillator vorbereiten! Zweihundert! Fertig? Ich reanimiere! Zurück!“
Ein Stromstoß ließ Angels schlaffen Körper wie eine Stoffpuppe in die Höhe schnellen. Die erwartungsvollen Augen der Ärzte und Schwestern waren auf den Monitor neben dem Krankenbett gerichtet. Die Linie verließ ihre gerade Bahn und wurde zum Sinus. Erleichtertes Aufatmen erfüllte den Raum, verhaltene Freude, Stoßgebete der Dankbarkeit. Unerwartet schnell nahm Angels Herz den gewohnten Rhythmus wieder auf.
Karo hatte sich entsetzt zur Wand umgedreht und presste sich die Faust auf den Mund, damit niemand ihr verzweifeltes Schluchzen hören konnte. Die Tränen quollen aus ihren Augen , während sie im Zeitlupentempo in die Knie ging und ihr Gesicht in den Händen vergrub.
„Es tut mir leid. Es tut mir unendlich leid, Frau Seiler, dass ich Ihnen das antun musste. Ich wusste mir keinen anderen Ausweg. Sie werden mich für einen groben Trottel halten, mich verfluchen und bis in alle Ewigkeit hassen, was ich Ihnen nicht verdenken kann. Doch sehen Sie selbst: Angel spürt Ihre Anwesenheit“, behauptete der Professor im Brustton völliger Überzeugung, als er Karo später tröstend in die Arme nahm.
„Danilo hat Ihnen von seinen Messungen erzählt , die eindeutig belegen, dass Angel auf Ihre Stimme und Ihre Berührung reagiert. Und bevor Sie abwinken, will ich Ihnen verraten, dass er weder auf Erika noch auf mich derart angesprochen hat. Und dabei haben wir uns seit Jahrzehnten die größte Mühe mit ihm gegeben, ihn seit seiner Kindheit mit Liebe und Aufmerksamkeit überschüttet, ihn verhätschelt und getätschelt. Aber Sie allein konnten messbare Veränderungen an seinem Zustand bewirken.“
Wie hatte sie nur so selbstsüchtig und stur sein können! Wollte sie noch immer ihre Ruhe gegen das Leben von Angel Stojanow eintauschen? Gegen ein paar vollgekleckste Leinwände? Eine blöde Ausstellung? Und nicht einmal ihre Diplomarbeit würde davonlaufen, wenn sie sich nicht mit ihr befasste.
„ Sie wissen, was das bedeutet. Also, worauf warten Sie, Karo? Was soll noch passieren? Wir wissen nicht, was er als nächstes nicht mehr tun wird“, wiederholte der Professor seine Worte mit Nachdruck. „Noch ist es nicht ausgestanden. Er braucht Sie.“
Leichenblass ließ sie sich, widerwillig zwar, aber mit längst gebrochenem Widerstand, zu Angels Bett schieben. Auf einen kurzen Wink des Chefarztes hin leerte sich der Raum. Die Diensthabenden der Intensivstation würden die Vitalfunktionen ihres Patienten von jetzt an wieder auf den Monitoren im Kontrollraum überwachen.
Professor Vogel stellte Susann einen Stuhl an das Bett. „Sie haben es bereits einmal geschafft. Die Schulmedizin mit ihren tollen Maschinchen und Apparaten ist bloß eine Seite der Medaille. Angel braucht die Wärme und … und die Nähe eines Menschen. Eines Menschen, den er … mag. Wir vertrauen Ihnen, Karo“, machte er der Frau und sich selbst Mut, bevor er sie alleine ließ.
M it dem Handrücken wischte sie die Tränen aus den brennenden Augen und von den Wangen. Sie beugte sich über den reglosen Körper und küsste sacht Angels Stirn, um im
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