Zurück nach Hollyhill: Roman (German Edition)
wollte er sie spiegeln. Auch er lächelte. Dann neigte er den Kopf und fragte: »Was haben Sie mit Ihren Haaren gemacht?«
Emilys Magen zog sich zusammen. Saß sie hier wirklich und führte Smalltalk mit einem Mann, der kaltblütig Mädchen umbrachte? Der sie selbst betäubt und entführt und gequält hatte und ihre Freundin Fee in einem Kofferraum gefangen hielt?
Sie zuckte mit den Schultern. Sie konnte nur hoffen, dass er ihr Zittern nicht bemerkte. »Ich dachte, das Violett sei der Veranstaltung heute Abend nicht ganz angemessen«, erklärte sie. Sie reckte das Kinn vor. »Sie mochten es?«
Quayles Lächeln verformte sich zu einem amüsierten Schmunzeln. Während er sich vorbeugte, um nach seinem Glas zu greifen, antwortete er: »Nun, mir gefällt Ihre neue Frisur besser.«
Emilys Herz schlug so laut, dass sie fürchtete, Quayle könnte es hören. »Vielen Dank«, sagte sie langsam, löste eine Hand, die krampfhaft die Tasche in ihrem Schoß gehalten hatte, und strich mit einer scheinbar unbewussten Geste über einen der Zöpfe.
»Meine Mutter hat es mir beigebracht.« Die Lüge platzte nur so aus Emily heraus. »Das Flechten, meine ich. Sie trug ihre Haare meistens so.« Sie hatte keine Ahnung, woher diese plötzliche Eingebung kam, aber kaum waren die Worte über ihre Lippen, wusste Emily, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. Quayles Augen zuckten für den Bruchteil einer Sekunde, dann waren sie von jeglichem Ausdruck befreit. Die Mutter ist der Schlüssel, dachte Emily, was für ein Klischee! Und dennoch – damit konnte sie ihn womöglich aus seiner Reserve locken. Und das wollte sie doch, oder etwa nicht?
Quayle nippte an seinem Whisky, und ein Lichtstrahl brach sich in der bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Er lehnte sich wieder in seinen Sessel zurück und drehte das Glas zwischen seinen langen Fingern. Seine ganze Erscheinung wirkte derart gelassen und in sich ruhend, dass es Emily innerlich schüttelte. Wie kalt er war. Wie abgebrüht.
»Sie starb, als ich klein war.« Emily musste sich nicht einmal anstrengen, ihre Stimme brüchig klingen zu lassen, sie tat es auch so. »Ich kann mich kaum mehr an sie erinnern. Ich habe Bilder. Sie sah wunderschön aus mit ihren …«
»Verraten Sie mir Ihren Namen?«, fragte er plötzlich.
»Greta«, antwortete Emily sofort. Sie setzte sich etwas aufrechter hin und zupfte nun doch an ihrem Saum. »Und Ihr Name ist James?«
»Greta«, wiederholte Quayle. Er hatte offenbar nicht vor, ihre Frage zu beantworten. »Was für ein hübscher Name. Woher kommt er?«
Emily starrte Quayle einen Augenblick an. Sie hatte auf einmal das Gefühl, dass ihr Schicksal besiegelt war. Dass er ihr Schicksal besiegelt hatte. Sie hatte seine Mutter erwähnt und damit einen Schalter umgelegt. Sollte er zuvor noch nicht vollständig davon überzeugt gewesen sein, sie töten zu wollen – jetzt war er es, das spürte sie.
Sie räusperte sich. »Ich weiß nicht, woher der Name kommt«, antwortete sie, »aber ich bin aus … Schweden. Stockholm, um genau zu sein.«
O Gott, Emily! Beinahe hätte sie selbst die Spur nach München gelegt. Sie betete, dass ihr Gestammel ihn nicht stutzig gemacht hatte. Und dass er nun nicht etwas Schwedisches von ihr hören wollte. Doch wie sich herausstellte, schien ihm ihre Herkunft gleichgültig zu sein.
»Greta«, sagte er einfach. »Greta mit den Zöpfen.« Er nahm einen weiteren Schluck, diesmal einen großzügigen, und stellte das leere Glas auf dem Tisch ab. »Greta«, setzte er an, etwas lauter diesmal. »Was macht ein Mädchen wie Sie auf einem Kongress wie diesem? Begleiten Sie Ihren Vater?« Seine Kohleaugen betrachteten Emily. Er sah gierig aus.
Emily schüttelte den Kopf. »Nein«, antwortete sie, »ich bin allein hier.« Sie überlegte eine Sekunde. »Schülerpraktikum. Vor dem Medizinstudium.«
Liebe Güte, wann hatte sie gelernt, so zu lügen? Sie war heilfroh, dass Matt sie nicht hören konnte.
»Ich verstehe«, sagte Quayle. Er nickte. »Wie hat Ihnen mein Vortrag gefallen?«
Emily zögerte einen Moment. Wie weit wollte sie gehen? Schließlich sagte sie: »Interessant. Obwohl ich Ihre Meinung nicht teilen kann. Ich persönlich würde mich nicht als Lebewesen betrachten, das sich über Leben und Tod stellen darf.«
Quayles Augen verengten sich. »Und das habe ich getan?«, fragte er ungläubig.
Emily legte den Kopf schief. »›Gott ist tot, Gott bleibt tot, und wir haben ihn getötet?‹«, zitierte sie.
Quayles Lippen verzogen
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