Zurückgeküsst (German Edition)
Unsere Fahrt zum Flughafen verlief fast schweigend, wobei es diesmal seltsamerweise Dad war, der immer wieder versuchte, eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Als wir nach Hause kamen, zog ich meinen Schlafanzug an, wusch die Schminke vom Gesicht und ging zu Bett, in der Hoffnung, dass meine Mutter am nächsten Tag bessere Laune hätte. Und ich Marcus’ Sekretärin anrufen dürfte. Aber schon jetzt war der Gedanke an einen Besuch in New York getrübt.
Am nächsten Tag fand ich neben dem Kopfkissen eine Nachricht von meinem Vater, der mir alles Gute wünschte und schrieb, er müsse an einem Haus in Oak Bluffs arbeiten, wir sähen unsspäter. Dann ging ich in das Zimmer meiner Mutter, um ihr guten Morgen zu wünschen.
Sie war dabei, ihre Koffer zu packen.
„Ich werde eine kleine Reise unternehmen“, verkündete sie fröhlich. „Ich brauche mal ein bisschen Zeit für mich, wenn du verstehst, was ich meine. Aber gestern Abend war es lustig, oder?“
Ein Mal, nur ein einziges Mal, war meine Mutter bisher ohne mich weggefahren – nach Kalifornien, um ihre Familie zu besuchen. Dad und ich waren damals eine Woche allein gewesen. Dann kam sie drei Tage früher zurück und sagte, alle in ihrer Familie seien Idioten und sie habe recht damit gehabt wegzugehen. „Wohin fährst du?“, wollte ich wissen.
„Ich weiß es noch nicht genau“, erwiderte sie, ohne mich anzusehen. „Aber du weißt ja, wie es ist, Harper. Für das Leben in der Kleinstadt bin ich einfach nicht geschaffen. Es wird Zeit, ein wenig in die weite Welt zu schnuppern, mal wegzukommen von deinem Vater und dieser provinziellen kleinen Insel!“
„Aber … wann kommst du denn zurück, M… Linda?“
„M… Linda?“, fragte sie, und ihre Stimme klang kalt, beinah grausam. „Tja, ich bin seit dreizehn Jahren und neun Monaten hier. Ich schätze, ich komme zurück, wenn ich bereit dazu bin.“
Ich hatte zehn Mädchen für diesen Nachmittag zu mir eingeladen. Mom und ich hatten den ganzen Vormittag des gestrigen Tages damit verbracht, die Party vorzubereiten, bevor wir uns dann für den glamourösen Abend in Boston fertig gemacht hatten. Wir wollten erst an den Strand gehen und danach alkoholfreie Margaritas trinken. Wir hatten Erdbeeren in Schokolade getunkt, ein ganzes Blech voll.
Sie zerrte eine weitere Schublade auf und fing an, hektisch und verärgert Wäsche in ihren Koffer zu werfen.
„Kann ich mitkommen?“, fragte ich und erkannte meine Stimme kaum wieder, so leise und verängstigt klang sie.
Erst jetzt sah sie mich an. „Diesmal nicht“, erwiderte sie schroff.
Eine halbe Stunde später war sie verschwunden.
Nick ließ mich ans Steuer. Als wir nach drei Stunden und fünfzehn Minuten die Ausfahrt nach Aberdeen nahmen, waren meine Hände kalt, verschwitzt und fest ums Lenkrad gekrallt.
Damals, als wir zusammengekommen waren, hatte ich Nick eine sehr skizzenhafte Version vom Auszug meiner Mutter geschildert. Gespielt gleichgültig hatte ich mit den Worten „Scheiße passiert eben“ geschlossen. Ich hatte es ihm im Dunkeln erzählt, mitten in der Nacht, und als ich fertig war, ließ ich ihn versprechen, es nie wieder zu erwähnen, und er hielt sich daran.
An diesem Tag jedoch bekam er auf der Fahrt nach Aberdeen die ganze Version der Geschichte zu hören. Er ließ mich erzählen, ohne mich ein einziges Mal zu unterbrechen, und am Ende nahm er einfach meine Hand und hielt sie eine Weile fest.
Und nun waren wir da.
Laut Bericht von Privatdetektiv Dirk Kirkpatrick arbeitete meine Mutter hier seit drei Jahren in einem Lokal namens Flopsy’s , in dem es anscheinend die besten Milchshakes im Mittleren Westen gab. Das Navigationssystem führte uns direkt dorthin, und es war ein ziemlich cool wirkendes Diner im Retrostil mit Chromverkleidung, Flopsy’s in großen grünen Buchstaben und einer Eiswaffel aus Neonröhren, die in die Luft ragte.
War sie dort drin? Mir wurde fast übel bei dem Gedanken, während ich mich nach außen gelassen und kontrolliert gab. Ich fuhr am Lokal vorbei, bog in eine Seitenstraße, stellte den Motor ab und saß eine Weile nur so da. Es war kühl draußen und leicht bewölkt, trotzdem schwitzte ich wie ein Pferd nach einem Rennen.
„Harper“, sagte Nick und sah mich an. „Was genau hoffst du, das dort drin passieren wird?“ Es waren seine ersten Worte nach langer, langer Zeit.
Ich holte tief Luft. „Na ja“, sagte ich. Meine Stimme klang fremd. „Ich schätze, ich will sie einfach wiedersehen. Fragen,
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