Zurückgeküsst (German Edition)
wieder hier sein.“
„Pass auf die Grizzlybären auf.“ Nachdem er mir zugezwinkert hatte, ging Theo weiter, um mit Carol zu plaudern, unserer immer etwas brummigen, aber äußerst fähigen Büroassistentin.
Ich beantwortete ein paar E-Mails, kontrollierte meine Termine für die nächste Woche und räumte meinen Schreibtisch auf. Dann starrte ich aus dem Fenster hinaus auf den Garten. Edgartown war die schickste Stadt auf der Insel. Mit seinen großen, geschmackvollen Villen, den backsteingepflasterten Gehwegen und dem gedrungenen weißen Leuchtturm wirkte es beeindruckend, aber auch charmant. Im Winter war die Stadt wie ausgestorben, da die meisten Hausbesitzer ihren Erstwohnsitz woanders hatten. Im Sommer war es so voll, dass man manchmal eine halbe Stunde brauchte, um einen Kilometer vorwärtszukommen. Da es an den meisten Tagen warm war, fuhr ich mit dem Fahrrad zur Arbeit – das waren fünfundvierzig Minuten gesunde und wohltuende Bewegung.
Als ich mich nicht länger ablenken konnte, stieß ich einen tiefen Seufzer aus. Tja. Bald wäre ich vierunddreißig – ein Alter, das für mich von besonderer Bedeutung war. Ich hatte keine Kinder, keinen Ehemann, keinen Verlobten. Am folgenden Tagwürde ich meinen Exmann wiedersehen, was ganz sicher ein paar der Erinnerungen wieder aufleben lassen würde, die ich vor langer Zeit begraben hatte. Und meine Schwester würde einen Mann heiraten, den sie kaum kannte. Fantastisch.
Und da wir gerade von alten Erinnerungen sprachen …
Ganz langsam zog ich die oberste Schublade meines Schreibtischs auf, nahm den kleinen Schlüssel heraus, der auf der Hinterseite angeklebt war, und schloss die unterste Schublade meines Aktenschranks auf.
Letztes Jahr an meinem dreiunddreißigsten Geburtstag hatte ich unseren Privatdetektiv angeheuert – aus ganz eigennützigen Gründen. Einen halben Tag später hatte Dirk mir dann diesen Umschlag gegeben.
Allein schon sein Anblick verursachte mir Übelkeit. Aber da ich kein Weichei war, öffnete ich ihn trotzdem einen Spalt und lugte hinein. Ort, Staat, Arbeitsstelle, Adresse. Als ob ich das schwarz auf weiß sehen müsste! Als ob die Worte sich nicht schon tief in mein Langzeitgedächtnis eingebrannt hätten!
Ich zögerte, dann warf ich den Umschlag in die Schublade zurück. „Ich habe noch anderes zu tun“, sagte ich ihm. „Du bist nicht so wichtig. Tut mir leid.“ Schnell schob ich die Lade wieder zu, schloss ab und steckte den Schlüssel zurück an seinen Platz.
Dann packte ich meine Sachen zusammen, ging ins Foyer, winkte Tommy zu und sagte ihm, er solle die Ohren steif halten – er würde es durchstehen, das taten sie alle –, und erinnerte Carol, dass das Funknetz in Montana möglicherweise nicht so dicht war und sie nicht in Panik geraten sollte, wenn sie mich nicht erreichte.
„Bin ich jemals in Panik geraten, weil ich nichts von dir gehört habe? Habe ich überhaupt schon einmal länger als zwanzig Minuten nichts von dir gehört?“, erwiderte sie und warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu. „Mach endlich mal Urlaub, Harper, und gönn uns eine Pause.“
„Aha. Heißt das, du willst ein Elchgeweih als Souvenir?“
„Das wäre das Mindeste.“
Ich stupste die Wackelkopfpuppe von Red-Sox-Spieler Dustin Pedroia an, die auf ihrem Schreibtisch stand. „Ich hoffe, die Sox gewinnen heute Abend“, sagte ich.
„Oh, hast du Pedey gestern gesehen? Unglaublich!“, schwärmte sie und seufzte verträumt.
„Ich weiß“, erwiderte ich, da ich gegen zwei Uhr nachts, während ich mit meiner Schlaflosigkeit gekämpft hatte, tatsächlich die Wiederholung des Spiels gesehen hatte. „Der ist jetzt schon so gut … Wart nur ab, wenn er in die Pubertät kommt!“
Carols verträumter Gesichtsausdruck versteinerte. „Raus mit dir!“
„Na, dann tschüss.“ Ich schmunzelte.
Kurz bevor ich ging, holte ich doch noch den Umschlag aus der untersten Schublade, stopfte ihn in meine Laptoptasche und versuchte, nicht weiter an ihn zu denken.
Draußen auf der Straße atmete ich tief durch. Die Schule hatte wieder begonnen, und die Mehrzahl der Touristen war abgereist, auch wenn sie am Freitag zurückkommen würden, um die Insel kurzfristig zu überschwemmen. Mein Blick fiel auf die katholische Kirche ein Stück weiter unten, und ich beschloss, Pater Bruce noch schnell einen Besuch abzustatten, bevor ich Dennis abholte.
In der Kirche herrschte vollkommene Ruhe. Ah. Ein Zeichen. Das Sakrament der Beichte ist möglich an Donnerstagen
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