Zurückgeküsst (German Edition)
Karte. Das war ein Fehler. Denn nun befand sich genau neben mir sein Hals, braun gebrannt und zum Reinbeißen. Ein bisschen kam ich mir wie ein Vampir vor, während ich dem Drang widerstand zuzubeißen. Ich räusperte mich. „Ich liebe Landkarten“, sagte ich ein bisschen zu laut.
„Ich auch“, sagte er und sah mich an. „Das Navi ist toll, aber es ist nicht dasselbe.“
„Exakt meine Meinung.“ Er grinste, und mir wurde flau im Magen. Nein, weiter unten. Ich blickte zur Seite und rückte die Kappe zurecht.
„Hast du das jemals gemacht?“, fragte er leise. „Quer durchs Land fahren?“
„Nein.“
„Ironie des Schicksals, oder?“ Er sah von der Karte auf und mir direkt in die Augen.
„Sehr.“ Ich spürte, wie mein Herz wild klopfte.
Er sah mich noch einen Moment lang an, dann faltete er andächtig die Karte wieder zusammen. „Okay, weiter geht’s. Pinguinstatue, wir kommen!“
11. KAPITEL
N ick und ich hatten geplant, nach unserer Hochzeit quer durchs Land zu reisen. Zuerst hatten wir nach Kalifornien fliegen wollen, um dann mit dem Auto zurückzufahren. Keiner von uns war bis dahin viel herumgekommen. Unser gemeinsamer Trip war für den Sommer nach unserem ersten Hochzeitstag angedacht, da Nick vorher noch ausreichend Urlaubszeit ansparen musste. Tja, und dann hatten wir es nicht bis zu unserem ersten Hochzeitstag geschafft …
Unsere Hochzeit war … na ja, Sie sind sicher schon auf Hochzeiten gewesen, das ist ja mehr oder weniger immer das Gleiche. Es war ganz schön.
Nein, das ist gelogen. Es war schrecklich. Ich war von Zweifeln zerfressen, und in meinem Kopf erklang ständig eine Art Backgroundchor, der „Was, zum Teufel, tun wir hier eigentlich?“ sang. Es ist okay – er liebt dich – er ist großartig. Was, zum Teufel, tun wir hier? Wir sind zu jung. Es ist okay – er liebt dich. Warum studiere ich nicht Jura? Warum hänge ich mich an einen Mann? Es ist okay – er liebt dich –, es wird funktionieren. Was, zum Teufel, tue ich hier? Und so weiter.
Als ich auf der Brooklyn Bridge Ja gesagt hatte, hatte ich keine schnelle Hochzeit vor Augen gehabt. Ich hatte gedacht, ich würde erst einmal in aller Ruhe in Georgetown studieren, wo ich angenommen worden war, und dann … irgendwann einmal … heiraten. Ich hatte kein Problem mit einer Fernbeziehung; Nick und ich waren während meines letzten Jahrs am College schon räumlich getrennt gewesen und hatten das gut hinbekommen. Aber er drängte mich. Warum getrennt leben, wenn wir auch zusammenleben konnten? Wenn ich in Georgetown angenommen worden war, würde ich sicher auch an der Columbia oder NYU in New York angenommen werden. Wir liebten uns. Es war schön zusammen. Wir sollten heiraten. Es gab keinen Grund, noch länger zu warten!
Nick konnte sehr überzeugend sein. Und hartnäckig. Und natürlich liebte ich ihn.
Also würde ich am ersten Tag des Sommers heiraten, einen Monat nach Abschluss des Colleges, und schon bei dem Gedanken schwitzte ich Blut und Wasser. Den ganzen Morgen über, während wir im Garten meines Vaters Stühle aufstellten und Blumen auf den Tischen verteilten, wartete ich darauf, dass Nick plötzlich die Erkenntnis ereilte, dass es idiotisch wäre, dieses hoch riskante Spiel der Erwachsenen zu spielen. Ich wartete darauf, selbst genug Mut aufzubringen, um alles abzublasen. Oder dass mein Vater mir sagte, das alles sei ein Fehler.
Auf meine Mutter wartete ich auch.
Auch sie war damals einem Mann gefolgt. Meine Mutter, ein Mädchen aus Kalifornien, war mit einundzwanzig nach Martha’s Vineyard gekommen und hatte dort meinen Vater kennengelernt, sieben Jahre älter, braun gebrannt und maskulin. Es hieß, meine Mutter habe in Boston vorübergehend als Model gearbeitet und gemeinsam mit ein paar Freundinnen beschlossen, die Insel zu besuchen. Dad reparierte damals gerade das Dach des Hauses, das eine der Freundinnen gemietet hatte. Er war groß, kräftig, gut aussehend, wortkarg – das wandelnde Klischee eines kernigen Handwerkers. Mom hatte ihn zu einer Strandparty eingeladen. Als ihre Freundinnen in der darauffolgenden Woche wieder abreisten, beschloss sie zu bleiben. Einen Monat später war sie schwanger, und, voilà … so entstand unsere Familie.
Am Tag meiner Hochzeit war meine Mutter schon über acht Jahre fort gewesen. In der ganzen Zeit hatte ich vier Postkarten erhalten, alle in den ersten eineinhalb Jahren. Sie waren einander sehr ähnlich gewesen … Florida ist heiß und feucht, viele
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