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Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein Kostenlos Bücher Online Lesen
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Puddingpulver, den Kaffee und die Soßen auszupacken, als wären es ihre Geburtstagsgaben.
    Petre hatte die ganze Zeit über nichts gesagt. Jetzt holte er ein kleines Päckchen hervor, reichte es mir.
    »Aufmachen!«, befahl er. Sein unsicheres Lächeln verriet ihn. Vielleicht hätte er mich gerne in den Arm genommen, vielleicht wäre er gerne ein wenig freundlicher zu mir gewesen. Aber eine Mauer stand zwischen uns, eine Mauer, die ich errichtet hatte, eigenhändig. In dem Päckchen ein Buch. Lenins Schriften. Entsetzt sah ich ihn an. Er lächelte immer noch, nein, grinste. »Freust du dich?«
    »Und wie, du Idiot.«
    »Das kannst du überall lesen. In jedem Trolleybus, in jedem öffentlichen Gebäude.«
    »Super, und wenn mir der Inhalt nicht gefällt?« Ich schlug das Buch auf. Mehr aus Unsicherheit denn aus Interesse. Ich schlug es mittendrin auf.
     
    Sie zog sich an. Sie stand vor einem Spiegel. Nein , an ihrem Körper gab es nichts Monströses. Unterhalb der Schultern   …
     
    Rasch blätterte ich nach vorne. Die ersten Seiten entstammten tatsächlich einem Aufsatz von Lenin,
Staat und Revolution
aus dem Jahre 1917, doch dann folgte eine deutsche Übersetzung von
Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
.
    »Milan Kundera«, flüsterte ich ehrfürchtig, drückte das Buch an mich und hastete um den Tisch herum. Mit dem freien Arm umschlang ich Petres Hals, zog sein Gesicht zu mir. Ich küsste ihn auf den Mund. Sofort hörte Puscha auf, in dem Paket zu rascheln. Karin und Misch unterhielten sich über die Tschechei, und aus denAugenwinkeln nahm ich wahr, dass Sebastian erstarrte. Gerne hätte ich noch etwas zu Petre gesagt, etwas Schönes. Doch der stand mit geradem Rücken auf und marschierte wortlos ins Haus. Leo, dieser Verräter, folgte ihm schwanzwedelnd.

7
    Sebastian war immer schon da, zunächst in meiner Klasse, dann eine Klasse über mir. Ich kannte seine Schwestern Eli und Liane, kannte seine Freunde, kannte sogar seine Mutter, da sie an unserer Schule Russisch unterrichtete. Niemand mochte sie, weil wir auf Englisch und Französisch erpicht waren. Sebastian aber war beliebt. Er lächelte viel, und wenn er mich sah, dann strahlte er. Irgendwann beschloss ich, dieses Strahlen nicht mehr zu ignorieren. Es war einfach an der Zeit, ihm eine Chance zu geben. Während einer Tanzveranstaltung gestattete ich ihm, seine Wange an meine Wange zu legen. Dazu musste er sich nicht verrenken, wir passten wunderbar zueinander. Er war nur wenig größer. Er tanzte ganz passabel. Damit ich nichts falsch machte, drückte er seine rechte Hand fest gegen meinen Rücken. Durch den dünnen Stoff meiner Bluse versandten seine Fingerkuppen Botschaften an mein Gehirn, die ich mühelos verstand. Morsezeichen, die sich selbst erklärten. Ich führe dich, weil ich dich begehre, verkündeten seine Finger.
    Na also, da war sie doch, die Liebe. Warum rannte ich Petre hinterher, warum versteifte ich mich auf Pfirsich, wo es doch auch Äpfel zu essen gab? Mein Verstand schmolz dahin, mein Körper wurde weich und anschmiegsam. Ich ließ zu, dass erst eine Hand, dann zwei von mir Besitz ergriffen. In der Pause spielte erden Kavalier, holte mir eine Limonade. Später besorgte er auch etwas zu Essen. Weißbrot, eine Kostbarkeit, mit frischem Kren. Bereits in der Theatergruppe war er mir als Organisationstalent aufgefallen. Dort galt seine Zuneigung allen, jetzt galt sie mir allein. Neugierig betrachtete ich ihn. Es war, als würde ich ihn zum ersten Mal sehen. Seine Haut wirkte durchscheinend, wurde durch Sommersprossen zusammengehalten. Mit seiner rotblonden Mähne glich er dem frisch gebackenen Brot in seiner Hand. Langsam führte er es zum Mund. Er aß nicht wie andere Menschen, sondern atmete die dünne Scheibe ein. Wie durch Zauberei war das Brot hinter seinen vollen Lippen verschwunden. Dabei war nichts Gieriges in seinem Verhalten, lediglich eine Zielstrebigkeit, die mich an meinen Vater erinnerte. Ein- und Ausatmen, schon wieder war eine Brotscheibe verschwunden. Fasziniert schaute ich ihm beim Essen zu. Erst nachdem er sich die Hände und den Mund ordentlich an einer Serviette abgewischt hatte, stellte er seine Frage.
    »Würdest du eventuell mit mir wegfahren?«, wollte er wissen.
    »Du meinst fliehen, auf einem Pferd, weiß, mit Flügeln?«
    »Nein, ich meine in die Berge, auf den Königstein vielleicht.«
    »Ach, so einer bist du.«
    »Wie, so einer?«
    »Berge sind schön, aber findest du nicht, dass sie arg im Weg

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