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Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein Kostenlos Bücher Online Lesen
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Krankenschwestermischte sich ein, sagte, randalieren sei sinnlos. Der Arzt hätte einen Sohn, der in Bukarest studieren würde, man wisse, was das bedeutet. Vielleicht aber könne er heimlich etwas für den Patienten tun, wenn man nicht unnötig auffalle.
    Puscha, weder duldsam noch ängstlich, gab auf und biss sich auf die Zunge. Noch in der selben Nacht wurde Misch entlassen. Von den Röntgenaufnahmen erfuhr man nie wieder etwas. Und auch über den Grund für den Überfall oder die Täter wurde nie mehr gesprochen. Misch weigerte sich hartnäckig, über die Angelegenheit zu reden.
     
     
    Armer, armer Kapitän. Ja, auch ich nannte ihn jetzt so, nicht aus Mitleid, sondern aus Respekt, obwohl er weniger denn je einem tatkräftigen Anführer glich. Zwei Wochen lang hütete er das Bett. Zwei Wochen lang wussten wir nicht, wie das mit seinen Beinen ausgehen würde. Und zwei Wochen lang genoss ich es, dass Petre am Nachmittag vorbeischaute und längere Zeit blieb. Ich sorgte dafür, dass ich mich zur betreffenden Zeit in der Kapitänskajüte befand. Entweder las ich dem Kapitän etwas vor, oder ich leistete ihm beim Essen Gesellschaft. Vergebens wartete ich darauf, dass er wieder Witze erzählte. Die Worte: »Kennt ihr den?« wollten ihm nicht mehr über die Lippen purzeln.
     
    Puscha litt am meisten. Sie war diejenige, die nachts beim Kapitän Wache hielt und sich um ihn kümmerte, wenn er vor lauter Schmerzen nicht schlafen konnte. Sein Körper, sonst trainiert und robust, wurde steifvom vielen Liegen, bereitete ihm zusätzliche Pein. Morgens kam Puscha dann nicht aus dem Sessel hoch, und ich musste mir den Wecker auf fünf Uhr stellen, um im Milchladen auszuhelfen. Jetzt bekam ich das System und die Verteilung der raren Nahrungsmittel erst richtig mit. Meine Eltern hatten mich von allem ferngehalten, von Schwarzmarktgeschäften, vom Schlangestehen.
    Im Milchladen helfen bedeutete, um halb sechs die Hintertür aufzuschließen, den Lieferanten zu empfangen, die Kisten nach vorne zu schleppen. Erst zu diesem Zeitpunkt erschienen die beiden Angestellten. Sie bedienten zuerst an der Hintertür ihre Familienmitglieder und Freunde, dann kümmerten sie sich um die anstehende Kundschaft, die sich müde und kraftlos, manchmal aber auch schimpfend, gegen die Fensterfront lehnte. Milch war rationiert, das heißt, wer seinen Personalausweis vergessen hatte, wer am falschen Tag kam, wer im falschen Laden stand, wurde ohne Ware weggeschickt. Und egal wie sehr man bettelte, es gab nur das auf der Liste vermerkte Kontingent, und keine der Verkäuferinnen ließ sich von Erzählungen, nahestehende Verwandte seien samt Kindern zu Besuch gekommen, erweichen. Es deprimierte mich, es machte mich wütend, erwachsene Frauen weinen zu sehen, doch schließlich machte ich nichts anderes als die Angestellten auch, ich ergaunerte mir durch eine verbotene Nebentätigkeit Privilegien. Oft musste ich ohne Frühstück zur Schule rennen, denn der Ansturm war in den frühen Morgenstunden so groß, dass ich auch im Verkauf mithelfen musste.
    »Ich bleibe heute Nacht hier«, Petre kaute auf seiner Unterlippe, »dann kann ich nach meinem Vater schauenund Puscha schläft aus und du   …«, er suchte nach einem passenden Wort.
    »Und ich bin entlastet«, half ich aus.
    Obwohl er weit von mir abrückte, spann sich ein neues Freundschaftsband zwischen uns, hauchdünn, doch es war sichtbar, es war spürbar. Sein feindseliger Blick war einem nachsichtigen gewichen. So bedachten Väter ihre pubertierenden Töchter.
     
     
    Auch als es dem Kapitän wieder besser ging, kam Petre regelmäßig zu Besuch. Ich hatte mir angewöhnt, seine Lieblingsspeisen zuzubereiten. Gefülltes Sauerkraut, Klausenburger Sauerkraut oder Krautsuppe. Er schien vernarrt in den säuerlichen Geschmack. Und irgendwann hingen seine Sachen wieder in Mischs Schrank, er war zurückgekehrt.
    Am Ende der Straße verkaufte Frau Iordache in ihrer Küche Sauerkraut. Die ganze Wohnung war erfüllt von einem Geruch, so intensiv, als hätte ein Bataillon Soldaten, zeitgleich, einen gigantischen Furz fahren lassen. Dabei ging die Saison zu Ende, die Krautfässer waren fast gänzlich geleert.
    Ich ging mit einem Eimer hin, in der Hosentasche das abgezählte Geld. Kaum hatte Frau Iordache mich gesehen, fragte sie, ob wir uns nicht schämen würden. Ich verstand nicht. Was mit der Fahne sei, wollte sie wissen. In drei Tagen wäre der erste Mai, ob wir keinen Kalender besäßen. Ein Schulkind wie ich

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