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Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein Kostenlos Bücher Online Lesen
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müsse defilieren, und eine Sozialistin wie meine Großmutter müsse die Fahne hissen. Das solle ich meiner Großmutter ausrichten. Sie redete ohne Punkt und Komma.
    »Wird gemacht«, antwortete ich und ging mit dem abgewogenen Kraut nach Hause.
    Zwei Tage später stand die Hexe vor unserem Haus, klingelte Puscha nach draußen und zeigte auf die leere Hülse am Tor.
    »Da, ich sehe keine Fahne.«
    Ihr Untermieter, Herr Dobresan, sei krank, entschuldigte sich meine Großmutter, da wäre nichts zu machen, und die Hülse sei kaputt, das könne selbst ein Blinder erkennen.
    »Dann kaufen Sie eine neue, wo ist das Problem?«
    »Joi, dass Sie blöd sind, das ist das Problem. Es gibt keine Hülsen zu kaufen, das habe ich Ihnen letztes Jahr bereits erklärt.«
    »Ach«, die Nachbarin stutzte. Sie trug einen braunen Arbeitskittel, der früher einmal blau gewesen war, vielleicht auch rot. Die Arme in die Hüften gestemmt, dachte sie nach. »Aber letztes Jahr war Herr Dobresan nicht krank.« Was also das eine mit dem anderen zu tun hätte?, wollte sie wissen.
    »Dass er hochgeklettert ist und die Fahne am Zaun festgebunden hat. Wenn ich das aber mache, breche ich mir garantiert das Kreuz, oder ich vermassle es, und ein Wind kommt, und die Fahne fliegt jemandem auf den Kopf, dann bin ich dran.« Meine Großmutter drehte sich um, ich hielt ihr das Tor offen. Alles war gesagt worden. Doch Frau Iordache war noch nicht fertig.
    »Sie sind so oder so dran«, giftete sie weiter. »Aber hören Sie auf meinen gut gemeinten Rat: Für einen unverschuldeten Totschlag gibt es weniger harte Strafen als für aufwieglerisches Verhalten. Nächstes Jahr werde ich Sie melden müssen.«
    »Dann können Sie sich Ihr Sauerkraut in den Arsch stecken!«, rief Puscha ihr hinterher und verlangte von mir, dass ich eine Leiter und einen Hammer holen solle. Kurze Zeit später stand ich auf der obersten Sprosse und schlug die Hülse ab. Danach hatten wir Ruhe. Und am ersten Mai ging niemand von uns zum Defilieren.
     
     
    Erst an meinem Geburtstag traute sich der Kapitän aufzustehen. Wenngleich er dreifüßig, also zu einem Stockmenschen, geworden war, lächelte er. Wir feierten draußen in Puschas Garten unter dem hellgrüne Blätter treibenden Marillenbaum. Karin, Liane und ihr Bruder Sebastian waren gekommen. Irgendjemand hatte frische Vinete besorgt, irgendjemand hatte rote Zwiebeln besorgt, und die ersten Paradeis zierten das karierte Tischtuch. Ich war glücklich. Aß gierig, sprach nichts, schaute nur auf meine Familie, wie ich sie heimlich nannte, meine Omama, meinen falschen Otata, meinen Geliebten, der nicht merken durfte, dass ich ihn immer noch liebte, und meine Freunde, Karin, Liane und Sebastian. Leo lag zu meinen Füßen, seine feuchte Schnauze kitzelte meine nackten Zehen.
    »Machen wir nachher das Päckchen auf«, fragte irgendjemand.
    »Ja, nachher.«
    Alle stimmten in mein Lachen ein.
    Im Februar abgeschickt und pünktlich zu meinem Geburtstag eingetroffen. Ein extra großes Päckchen. Dass es bereits geöffnet worden war, sah man an dem durchtrennten Klebeband. Es war überklebt worden, von einem bräunlichen Zeug mit sozialistischen Eigenschaften.Es klebte nicht, und der Deckel löste sich von selbst.
    Wie dumm sie waren. Die Zöllner hatten rumänische Zeitungen benutzt, um die Lücken zu schließen, die durch ihre Habgier entstanden waren. Ich wollte wissen, was sie entwendet hatten, und überflog, mit Tränen in den Augen, den Brief.
     
    Alles Gute zu Deinem 17.   Geburtstag .
    Wir haben jetzt einen Computer, stell Dir vor. Über Tschernobyl haben sie die schrecklichsten Lügen erzählt. Jod soll gar nichts genutzt haben. Wir sind damals umsonst drei Tage lang Schlange gestanden.
     
    Das Blatt war mit einer römischen II nummeriert, also hatten die Zöllner auch noch Hand an meinen Brief gelegt, an den Teil mit der Inventurliste. Aber Mamusch hatte wie immer im Text verschlüsselte Botschaften eingebaut. Von einem ihrer Lieblingskleider war die Rede, und da wusste oder ahnte ich, sie hatte mir ein Kleid gekauft. Womöglich ein Jeanskleid. Petre reichte mir ein Taschentuch, ich reichte Puscha den Brief.
    »Kruzitürken, jetzt läuft jemand in Bukarest mit deinem Kleid herum«, zischte sie. »Der Kuckuck soll sie holen.«
    »Wieso Bukarest?«, fragte Karin.
    »Bares ist mehr wert als das Glück von Zöllnertöchtern«, antwortete Sebastian.
    »Wenigstens sind alle Lebensmittel drin«, frohlockte meine Großmutter und begann, das

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