Zusammen ist man weniger allein
dann glaube ich … Ich glaube, daß Sie ihm imponieren.«
»He, das ist das Beste, was ich seit langem gehört habe!« rief sie.
»Ich? Ihn beeindrucken? Sie scherzen, hoffe ich? Ich hatte noch nie das Gefühl, von jemandem dermaßen verachtet zu werden.«
»Tzz … Er ist nicht sehr gebildet, das steht fest, aber er ist bei weitem kein I… Idiot, dieses Früchtchen, und Sie spielen mitnichten in derselben Li… Liga wie seine Süßen, wissen Sie? Sind Sie schon einmal einer von ihnen begegnet, sei… seit Sie hier sind?«
»Nein.«
»Nun, Sie werden sehen. Es ist … es ist erstaunlich, wirklich. Gleichwohl, ich bi… bitte Sie, stehen Sie über den Dingen. Mir zuliebe, Camille.«
»Aber ich werde nicht mehr lange hiersein, das wissen Sie doch.«
»Ich auch nicht. Er auch nicht, aber bis dahin sollten wir versuchen, in guter Nachbarschaft zu leben … Die Welt ist ohne uns schon schlimm genug, nicht wahr? Und außerdem bringen Sie mich zum Sto… Stottern, wenn Sie solche du… dummen Sachen sagen.«
Sie stand auf, um den Wasserkessel auszustellen.
»Sie sehen nicht sehr überzeugt aus.«
»Doch, doch, ich will es versuchen. Aber na ja, ich bin nicht sonderlich gut im Kräftemessen. Normalerweise schmeiße ich alles hin, anstatt nach Argumenten zu suchen.«
»Warum?«
»Darum.«
»Weil es weniger anstrengend ist?«
»Ja.«
»Das ist keine gute Strategie, glau… glauben Sie mir. Auf lange Sicht wird es Sie ins Verderben stürzen.«
»Es hat mich schon ins Verderben gestürzt.«
»Apropos Strategie, ich werde nächste Woche an einer fa… faszinierenden Tagung über die Militärkunst Napoleons teilnehmen, wollen Sie mitkommen?«
»Nein, aber schießen Sie los, ich bin ganz Ohr: Erzählen Sie mir von Napoleon.«
»Oh! Ein weites Feld … Möchten Sie eine Zi… Zitronenscheibe?«
»Halt, mein Lieber! Ich rühre keine Zitrone mehr an! Ich rühre hier gar nichts mehr an.«
Er sah sie mit großen Augen an:
» Ü… über den Dingen, hatte ich gesagt.«
6
Die wiedergefundene Zeit , für einen Ort, an dem sie alle krepieren sollten, der Name war wirklich gut gewählt. Total daneben.
Franck war schlecht gelaunt. Seine Großmutter redete nicht mehr mit ihm, seit sie hier wohnte, und er mußte sich von Paris bis hierher das Hirn darüber zermartern, was er ihr erzählen könnte. Das erste Mal war er überrumpelt worden, und sie hatten sich den ganzen Nachmittag über wie zwei Porzellanhunde beäugt. Schließlich hatte er sich ans Fenster gestellt und laut kommentiert, was auf dem Parkplatz vor sich ging: von den Alten erzählt, die ins Auto geladen wurden, von denen, die gebracht wurden, den Paaren, die sich anblafften, den Kindern, die zwischen den Autos durchflitzten, dem einen, der sich eine Ohrfeige einfing, der jungen Frau, die weinte, dem Porsche Roadster, der Ducati, dem neuen 5er-BMW und den unaufhörlich eintreffenden und abfahrenden Krankenwagen. Ein spannender Tag, wirklich.
Madame Carminot hatte den Umzug in die Hand genommen, und er war am ersten Montag völlig arglos angekommen, ohne auch nur im mindesten zu ahnen, was ihn erwartete.
Schon die Örtlichkeiten an sich – Geldnot war Gebot gewesen, er hatte mit einem staatlichen Altenheim vorliebnehmen müssen, das in Windeseile zwischen einem Buffalo Grill und einer industriellen Mülldeponie am Stadtrand hochgezogen worden war. Es war ein riesiges Gewerbegebiet, eine riesige Pleite. Eine riesige Pleite mitten im Nichts. Er hatte sich verfahren und über eine Stunde zwischen gigantischen Lagerhallen nach einem Straßennamen gesucht, den es nicht gab, hatte an jedem Verkehrskreisel gehalten, unverständliche Pläne studiert, und als er endlich sein Motorrad abstellte und den Helm absetzte, wäre er fast von einem heftigen Windstoß weggefegt worden. »Nein, was ist das denn? Seit wann quartiert man alte Leute in einem Windkanal ein? Ich dachte immer, daß ihnen der Wind den Kopf aushöhlt. Scheiße, Mann. Sagt, daß das nicht wahr ist. Daß sie nicht hier ist. Erbarmen. Sagt, daß ich hier falsch bin.«
Drinnen herrschte eine mörderische Hitze, und als er sich ihrem Zimmer näherte, spürte er, wie es ihm die Kehle zuschnürte, zuschnürte, zuschnürte, so daß er Minuten brauchte, bis er das erste Wort herausbekam.
All diese Alten, scheußlich, traurig, deprimierend, wimmernd, stöhnend mit ihren Latschen, ihren Gebissen, ihren Sauggeräuschen, ihren dicken Bäuchen und
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