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Zusammen ist man weniger allein

Zusammen ist man weniger allein

Titel: Zusammen ist man weniger allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Gavalda
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300 Gramm abgeschnitten hat, wenn du eins zu 100 Gramm verlangt hast, obwohl er genau wußte, daß du keine Zähne mehr hast. Aber du hast nichts gesagt. Du hattest zu viel Angst, daß er am nächsten Dienstag vergessen würde zu hupen. Den Rest hast du gekocht, um deiner Suppe etwas Geschmack zu geben. Gegen elf hast du deine Einkaufstasche genommen und bist zum Café des alten Grivaud gegangen, um die Zeitung und dein Brot zu kaufen. Du hast zwar schon seit langem keins mehr gegessen, hast es aber trotzdem weiterhin gekauft. Aus Gewohnheit. Und für die Vögel. Oft bist du einer alten Freundin begegnet, die schon vor dir die Todesanzeigen gelesen hatte, und ihr habt seufzend über eure Toten gesprochen. Anschließend hast du ihr die Neuigkeiten von mir erzählt. Auch wenn du keine hattest. Für diese Leute war ich schon genauso berühmt wie Bocuse, stimmt’s? Du wohnst seit fast zwanzig Jahren allein, aber du hast immer noch eine saubere Tischdecke aufgelegt und den Tisch schön gedeckt, mit einem Glas mit Stiel und einer Vase voller Blumen. Wenn ich mich recht erinnere, waren es im Frühling Anemonen, im Sommer Astern, und im Winter hast du auf dem Markt einen Strauß gekauft und dir bei jedem Schritt gesagt, daß er ziemlich häßlich ist und du zuviel dafür bezahlt hast. Nachmittags hast du auf dem Sofa ein Mittagsschläfchen gehalten, und dein dicker Kater hat sich erbarmt, sich für einen Moment auf deinen Schoß zu legen. Anschließend hast du zu Ende gebracht, was du in den Blumenbeeten oder im Gemüsegarten am Morgen angefangen hattest. Ja, der Gemüsegarten. Du hast nicht mehr viel darin gemacht, aber immerhin, er hat noch Eßbares abgeworfen, und du hast gestrahlt, wenn Yvonne ihre Karotten im Supermarkt gekauft hat. Für dich war das der Gipfel der Schande.
    Die Abende waren ein bißchen zu lang, stimmt’s? Du hast gehofft, daß ich anrufe, aber ich habe nicht angerufen, dann hast du den Fernseher angemacht und darauf gewartet, daß dich dieser ganze Unsinn müde macht. Bei der Werbung bist du aus dem Schlaf geschreckt. Du hast deine Runde durchs Haus gedreht und dabei deinen Schal fest um dich gezogen und die Fensterläden geschlossen. Dieses Geräusch, das Geräusch von Fensterläden, die in der Dämmerung knarren, hörst du heute noch, das weiß ich, weil es mir genauso geht. Ich wohne jetzt in einer Stadt, die so anstrengend ist, daß man nichts mehr hört, aber diese Geräusche, der hölzernen Fensterläden und der Tür zum Schuppen, ich brauche nur die Ohren zu spitzen, dann höre ich sie schon …
    Es stimmt, ich hab nicht angerufen, aber ich hab an dich gedacht, weißt du? Und wenn ich dich besucht hab, hab ich die Vorträge der heiligen Yvonne, die mich beiseite nahm und mir den Arm tätschelte, nicht gebraucht, um zu begreifen, daß es mit dir bergab ging. Ich hab mich nicht getraut, was zu sagen, aber ich hab natürlich gesehen, daß deine Blumenbeete nicht mehr so gepflegt waren und dein Gemüsegarten nicht mehr so ordentlich. Ich hab genau gesehen, daß du nicht mehr so schmuck warst, daß deine Haare eine ganz merkwürdige Farbe hatten und der Rock falsch rum saß. Ich hab gemerkt, daß dein Gasherd dreckig war und die potthäßlichen Pullover, die du mir weiterhin gestrickt hast, voller Löcher, daß deine Strümpfe nicht zusammenpaßten und du dich überall gestoßen hast. Ja, sieh mich nicht so an, Omi. Ich hab sie immer gesehen, deine riesigen blauen Flecken, die du unter deinen Strickwesten verbergen wolltest.
    Ich hätte schon viel früher auf dich einreden können bei alledem. Dich zwingen, zum Arzt zu gehen, und mit dir schimpfen, damit du aufhörst, dich mit dem Spaten abzumühen, den du kaum noch heben konntest, ich hätte Yvonne bitten können, auf dich aufzupassen, dich zu überwachen und mir deine Untersuchungsergebnisse zu schicken. Aber nein, ich hab überlegt, daß es besser ist, dich in Ruhe zu lassen, und daß der Tag, an dem es nicht mehr geht, na ja, dann würdest du es wenigstens nicht bereuen und ich auch nicht. Du hättest wenigstens ein gutes Leben gehabt. Glücklich. Angenehm. Bis zum Schluß.
     
    Jetzt ist er gekommen, der Tag. Da sind wir jetzt. Und du mußt dich entscheiden, meine Liebe. Anstatt böse auf mich zu sein, solltest du lieber denken, was für ein Glück du hattest, daß du mehr als achtzig Jahre in einem wunderschönen Haus wohnen durftest und …«
    Sie weinte.
    »… und außerdem bist du ungerecht zu mir. Ist es meine Schuld, daß ich so weit

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