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Zusammen ist man weniger allein

Zusammen ist man weniger allein

Titel: Zusammen ist man weniger allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Gavalda
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auch betreten würde, er würde sie daran erinnern, daß ihr Leben müßig war.
     
    Da waren ihr die Abteilungen eines Supermarkts lieber.
     
    Wer konnte das verstehen? Kein Mensch.
    Es war ein inniger Kampf. Der unsichtbarste von allen. Auch der schmerzlichste. Und wie viele Abende mit Putzen, Einsamkeit und lästigen Klos mußte sie noch über sich ergehen lassen, um damit fertig zu sein?
     
    Sie mied zunächst die Abteilung der »Schönen Künste«, die sie in- und auswendig kannte, weil sie zu Zeiten, da sie versucht hatte, an der gleichnamigen Hochschule zu studieren, häufig dagewesen war, und später dann aus weniger ruhmreichen Motivationen heraus. Sie hatte im übrigen nicht die Absicht, dorthin zurückzukehren. Es war zu früh. Oder auch zu spät. Wie die Geschichte mit dem Grund, den man berühren mußte, um sich wieder abzustoßen. Vielleicht war sie an einem Punkt in ihrem Leben angekommen, wo sie nicht mehr auf die Hilfe der großen Meister zählen sollte?
     
    Seit sie einen Stift halten konnte, hatte man ihr immer wieder gesagt, wie begabt sie sei. Sehr begabt. Zu begabt. Zu vielversprechend, viel zu vorwitzig oder zu verwöhnt. Häufig aufrichtig, andere Male zweischneidiger, hatten diese Komplimente sie nicht weitergebracht, und heute, da sie nur mehr wie besessen Skizzenhefte füllen konnte, an denen sie wie eine Klette hing, würde sie wohl gut und gerne ihre zwei Fässer Fingerfertigkeit gegen ein wenig Arglosigkeit eintauschen. Oder gegen eine Zaubertafel. Schwuppdiwupp! Nichts mehr da. Null Technik, null Referenzen, null Wissen, alles weg. Noch mal von vorn.
    Einen Kugelschreiber, siehst du … den hält man zwischen Daumen und Zeigefinger. Das heißt, gar nicht mal, den hält man, wie man will. Dann ist es nicht schwer, du denkst nicht mehr darüber nach. Deine Hände existieren nicht mehr. Das Ganze spielt sich woanders ab. Nein, so nicht, das ist viel zu schön. Wir wollen nicht, daß du etwas Schönes machst, weißt du? Wir pfeifen auf das Schöne. Dafür gibt es Kinderzeichnungen und das Glanzpapier der Illustrierten. Komm, zieh dir ein Paar Fausthandschuhe über, du kleines Genie, du kleine leere Muschel, aber ja doch, zieh sie an, sag ich, und du wirst sehen, vielleicht schaffst du es dann endlich, einen fast perfekten mißglückten Kreis zu zeichnen.
     
    Sie schlenderte also zwischen den Büchern entlang. Sie fühlte sich verloren. Es gab so viele, und sie war seit langem nicht mehr auf dem laufenden, was die Neuerscheinungen betraf, so daß sie von den ganzen roten Banderolen einen Drehwurm bekam. Sie sah sich die Einbände an, las den Klappentext, sah nach, wie alt die Autoren waren, und verzog das Gesicht, wenn sie jünger waren als sie. Das war als Auswahlkriterium nicht wirklich gescheit. Sie ging weiter in die Taschenbuchabteilung. Das schlechtere Papier und die kleingedruckten Buchstaben wirkten weniger einschüchternd auf sie. Das Cover von diesem hier, ein Junge mit Sonnenbrille, war ziemlich häßlich, aber der Anfang gefiel ihr:
    Dürfte ich nur eine einzige Begebenheit aus meinem Leben berichten, wählte ich diese: Ich war sieben Jahre alt, als der Postbote meinen Kopf überfuhr. Kein Erlebnis hat mich so geprägt wie dieses. Mein chaotisches, zielloses Leben, mein versehrtes Gehirn und mein Glaube an Gott, meine Zusammenstöße mit Freud und Leid – alles entspringt auf die eine oder andere Art jenem Augenblick an einem Sommermorgen, als der linke Hinterreifen eines US-Mail-Jeeps meinen kleinen Kopf in den heißen Kies des Apachen-Reservates von San Carlos malmte.
     
    Ja, das klang nicht schlecht. Außerdem war das Buch schön quadratisch, ziemlich dick, ziemlich dicht beschrieben. Es enthielt Dialoge, Auszüge aus Briefen und schöne Untertitel. Sie blätterte weiter und las gegen Ende des ersten Drittels:
     
    »Gloria«, sagte Barry mit seiner aufgesetzten Arztstimme. »Hier ist Edgar, dein Sohn. Er hat lange auf ein Wiedersehen gewartet.«
    Meine Mutter warf Blicke auf alles mögliche in der Küche, nur nicht auf mich. »Gibt es noch was?« fragte sie Barry mit hoher, zitternder Stimme, und meine Eingeweide krampften sich zusammen.
    Barry seufzte, öffnete den Kühlschrank und holte eine Dose Bier heraus. »Das ist die letzte. Später besorgen wir Nachschub.« Er stellte sie vor meine Mutter auf den Tisch und gab ihrem Stuhl einen sanften Schubs. »Gloria, das ist dein Junge. Hier ist er.«
     
    Dem Stuhl einen sanften Schubs geben. Vielleicht war das die

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