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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
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sobald das Projekt immer klarere Konturen gewinnt. Da offenbar keine komplexen Bedeutungsschichten aufgebaut wurden, weder im Blick auf unsere sozialen noch im Blick auf die technologischen Fragen, begann die Begeisterung in unserer Gruppe zu schwinden, während wir der vom Programm vorgesehenen dialektischen Bahn folgten.
    Google Wave, das sei hier betont, ist kein Diktator. Man kann das Programm umgestalten, indem man zum Beispiel das Hauptfenster kleiner als die Gesamtheit der Seitenleisten macht. Statt einen »Moderator« einzusetzen, wie Google Wave dies empfiehlt (er hätte zu einem geistigen Verkehrspolizisten werden können, der irrelevante Ideen aussondert), konnte jeder Teilnehmer in einer ihm zugeteilten Farbe gestrichelte oder gepunktete Pfeillinien zwischen Fenstern einzeichnen, um weitere Verknüpfungen vorzuschlagen. Doch der Bildschirm wurde dadurch immer unübersichtlicher und schwerer zu benutzen. Statt online zu arbeiten, bestiegen wir zunehmend das Flugzeug (dieses abscheuliche Folterwerkzeug der modernen Gesellschaft) und trafen uns persönlich, um ein effektiveres Querdenken zu praktizieren und alle vollständig am Gespräch zu beteiligen.
    »Ich begreife nicht, warum die Leute es nicht wollen«, meinte Lars Rasmussen, einer der Schöpfer des Programms (der mit seinem Bruder auch Google Maps programmiert hat). Auch für andere Nutzer erwies sich das Programm als Fiasko, und im Sommer 2010 stellte Google den ein Jahr zuvor begonnenen Dienst wieder ein. »Es ist ein äußerst cleveres Produkt. Es ist unverständlich, warum es nicht funktioniert hat«, erklärte Eric Schmidt, der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens. 29 Vielleicht ist das gar nicht so mysteriös. Wir wünschten uns bloß eine stärker dialogisch ausgerichtete Kooperation.
    Ein wichtiger Grund für das Scheitern liegt möglicherweise auch in der Tatsache, dass das Programm Kommunikation mit Informationsaustausch verwechselte. Beim Informationsaustausch geht es um präzise, genau definierte Dinge, während Kommunikation ebenso viel mit Gesagtem wie mit Nichtgesagtem zu tun hat. Kommunikation bewegt sich im Bereich der Hinweise und Konnotationen. In der Eile, die mit dem Versand von E-Mails verbunden ist, beschränken sich die Antworten oft auf das absolute Minimum. Und beim Online-Austausch nach Art von Google Wave, in dem das Visuelle dominiert, fällt es schwer, Ironie oder Zweifel zu äußern. Der reine Informationsaustausch reduziert die Ausdrucksmöglichkeiten.
    Der Unterschied zwischen Information und Kommunikation betrifft auch die Kooperation in Institutionen. Studien über Unternehmen, Kliniken und Schulen, die mit E-Mails oder ähnlichen Technologien arbeiten, zeigen, dass die Ausblendung des Kontexts oft auch den Sinn beeinträchtigt und das Verständnis zwischen den Beteiligten erschwert. In denotativer Sprache formulierte Online-Anweisungen führen zu abstrakten Richtlinien. Die Untergebenen müssen bei den Anweisungen ihrer Vorgesetzten ständig zwischen den Zeilen lesen – und die Vorgesetzten sind selten begabte Schreiber. Die Interaktion über konkrete Probleme verlangsamt sich, und es bedarf immer weiterer E-Mails, um einzelne Fälle abzuarbeiten. Jaron Lanier, der als Erster Programme zur dreidimensionalen Simulation der Realität auf dem Bildschirm entwickelte, äußert sich besorgt über diesen Verlust an Sinn und Bedeutung: »Als meine Freunde und ich die ersten virtual-reality -Maschinen bauten, ging es darum, unsere Welt kreativer, ausdrucksstärker, einfühlsamer und interessanter zu machen. Aber nicht darum, aus unserer Welt zu fliehen.« 30
    Der beschriebene Mangel findet sich allerdings nicht nur in dem Google-Programm. Viele andere Programme (von denen einige unter Linux immer noch frei erhältlich sind) verstehen Kooperation eher als dialektischen denn als dialogischen Vorgang. Auch hier ergibt sich daraus eine Beschränkung des Experimentierens und eine Behinderung der Kooperation. Man könnte sagen, die Programmierer erlaubten es den Benutzern nicht, miteinander Interaktionsmöglichkeiten zu erproben, wie es während musikalischer Proben geschieht. Die »Probe« ist, wie ich zu zeigen versucht habe, eine Form von Erfahrung, die in der frühkindlichen und kindlichen Entwicklung wurzelt und die Kommunikationsfähigkeit erweitert. Das ist das Paradoxe an Google Wave: Es zeigte, dass die Nutzer in ihrer Kooperation mit mehr Komplexität umzugehen vermögen, als die Programmierer dies zuließen. Die

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