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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
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aufkommenden Fabriksystems. Er war jedoch auch ein unglücklicher Fabrikleiter. Die Arbeitsplätze, die er aus eigener Anschauung kannte und hasste, waren die in den britischen Textilfabriken, in denen Baumwolle aus den Kolonien zu Stoffen verarbeitet wurde, sowie industriell arbeitende Bergwerke. Beides waren Schauplätze der blinden, seelenlosen Arbeitsteilung. An ihrer Stelle wünschte er sich Genossenschaften, die eine »neue moralische Welt« hervorbringen und letztlich zur sozialistischen Gesellschaft führen sollten. War er ein Idealist? Gewiss, auch wenn eine der von ihm gegründeten Produktionsgenossenschaften, New Harmony in Indiana, in veränderter Form recht lange überlebte.
    Wichtiger noch für die soziale Linke waren die Unterschiede zwischen Owen und Marx. 1844 formulierte Owen eine Reihe von Grundsätzen, die Rochdale-Prinzipien, die zu Leitlinien von Linken wurden, welche weniger streitlustig ausgerichtet waren als die Marx-Anhänger. Die sechs Prinzipien lauteten: Offenheit der Betriebe für jedermann (Gleichheit der Beschäftigung), ein Beschäftigter, eine Stimme (Demokratie am Arbeitsplatz), Verteilung des Überschusses im Verhältnis des Einsatzes (Teilung der Gewinne), Bargeldverkehr (er hasste »abstrakte Schulden« und hätte auf die moderne Kreditkarte gewiss verzichtet), politische und religiöse Neutralität (also Toleranz gegenüber Unterschieden in der Arbeitswelt) und Förderung der Ausbildung (Weiterbildung am Arbeitsplatz). In seiner Kritik des Gothaer Programms wandte Marx sich erbittert gegen den fünften Grundsatz: Politische Neutralität könne es gar nicht geben, und die Religion, dieses »Opium des Volkes«, müsse entmystifiziert werden. Dennoch wurde Owens Version eines von Grund auf am Arbeitsplatz aufgebauten Sozialismus zu einem Gründungstext der Sozialdemokratie. Wenn wir heute über die Rechte des arbeitenden Menschen nachdenken, kommen uns unwillkürlich diese Prinzipien oder einige von ihnen in den Sinn.

    Um 1900 hatten sich soziale und politische Linke in etwa entlang dieser Grenzlinien auf Dauer voneinander getrennt. Im Prinzip hätten beide sich zusammentun müssen, kämpften sie doch gegen dieselben Ungerechtigkeiten. In der Praxis taten sie dies nicht. Der Unterschied zwischen der von oben nach unten vorgehenden und der von unten nach oben aufbauenden Organisation mag eine Frage des Temperaments sein, zumindest in der Form, in der wir ihm heute noch begegnen – ein Temperamentsunterschied, der allerdings nicht nur Kämpfe innerhalb der Linken betrifft. Auch bei liberalen und konservativen Reformern findet sich diese Spaltung. Jede Denkfabrik voller politischer Streber, die in Spiegelstrichen reden, hat den Geist der alten politischen Linken geerbt, jede Graswurzelorganisation, in der verschiedene, manchmal gegensätzliche und manchmal zusammenhanglose Stimmen zusammengefunden haben, dagegen den der alten sozialen Linken. Der erste Weg strebt nach gemeinsamen Schlussfolgerungen, dem Ziel der Dialektik. Der zweite betont dagegen den dialogischen Prozess, in dem der Gedankenaustausch möglicherweise zu keinem Ergebnis führt. Für den ersten Weg ist Kooperation ein Mittel oder Werkzeug, für den zweiten ist sie eher ein Ziel an sich.
    Die Spaltung hat jedoch ebenso viel mit der Praxis zu tun wie mit dem Temperament. Männer wie Lassalle, Gompers und Coulson sprachen im Namen eines entschiedenen Realismus. Sie teilten die Erinnerung an die Kommune. Einige von ihnen, wie etwa Gompers, waren der Ansicht, Einrichtungen nach Art der Nachbarschaftsheime könnten nur wenig an der materiellen Situation der Armen ändern. Und Owens Werkstätten erschienen vielen dieser Realisten als ein Traum, der die Menschen von unmittelbaren, drängenden Problemen abhalte. Gleichermaßen lehnten die Realisten die brudermörderische Militanz Marx’scher Prägung ab. Die politische Linke wollte Koalitionen eingehen, um stärker zu werden, glaubte aber, dass praktische Kooperation sie kompromittiere – auch das ist Teil ihres Vermächtnisses.

Koalitionen

    In destillierter Form demonstrierte in Paris der deutsche Ausstellungsbeitrag dieses Problem. Er war groß, denn um 1900 war Deutschland bereits ein voll entwickelter Sozialstaat. In den 1870er Jahren hatte Reichskanzler Otto von Bismarck angesichts weit verbreiteter Unruhen begriffen, dass die soziale Frage gelöst werden musste, wenn der Kapitalismus überleben sollte. In den 1880er Jahren entwickelte seine Regierung Pläne für

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