Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält
jeder Kommentare abgeben könne, aber die einflussreichsten Blogs sind solche von Leuten, die der Macht am nächsten stehen. 11 Es mag seltsam erscheinen, die Symbiose zwischen Politik und Journalismus als eine – zudem noch entfremdende – Koalition zu begreifen, doch das hilft bei der Erklärung des anhaltenden Dramas, in dem führende Politiker beschuldigt werden, den Kontakt zu den Menschen verloren zu haben, deren Lage nicht zu verstehen und sich der herablassenden Rhetorik von Insidern zu bedienen.
Über weite Strecken meines beruflichen Lebens als Soziologe habe ich ein Phänomen untersucht, das unsere Zunft als »Ressentiment« bezeichnet, das Gefühl einfacher Leute, die Elite wisse nichts von ihren Problemen, auch wenn sie vorgebe, in ihrem Namen zu sprechen. In Familien weißer Amerikaner aus der Arbeiterklasse, die ich in Boston befragte, überkreuzten sich im Ressentiment soziale und ethnische Zugehörigkeit, Klasse und Rasse. Die liberale Elite identifizierte sich mit armen Schwarzen, aber nicht mit diesen weißen Arbeitern, bei denen damals rassische Vorurteile tatsächlich weit verbreitet waren. Die liberale Elite glaubte erklären zu können, warum diese Polizisten, Arbeiter und kleinen Angestellten Vorurteile hegten – und sie glaubte das, ohne sonderlich große persönliche Kontakte mit ihnen zu haben, und ganz sicher auch, ohne sie als ihresgleichen anzuerkennen. 12 Viele andere Forscher haben das Ressentiment dokumentiert, das der Diskurs der weißen Eliten in Amerika über die Einwanderer auslöste. In Europa zeigen sich Ressentiments vor allem in den Einstellungen einheimischer Arbeiter gegenüber islamischen Immigranten. 13 Die Elite scheint auf der Seite der Unterdrückten zu stehen, aber nicht auf der Seite der einfachen Leute.
Eines ist mir am Phänomen des Ressentiments besonders ins Auge gefallen: die Aura der Verschwörung, die es umgibt. In gewisser Weise ist diese Aura irrational, vor allem in den Vereinigten Staaten. Dort herrscht der Eindruck, die liberalen Eliten steckten alle unter einer Decke – Politiker, Medien, zur Linken neigende Stiftungen, die Eliteuniversitäten mit ihren bärtigen Radikalen, die Gewerkschaftsführer, sie alle scheinen einen geheimen Pakt geschmiedet zu haben. So irrational das sein mag, Verschwörungstheorien sind eine Möglichkeit, die alltägliche Ohnmacht zu begreifen. Aus Reformen, die im Namen des Volkes in Hinterzimmern zustande kommen, werden Verschwörungen, die den einfachen Leuten sowohl ihre Rechte als auch den ihnen zustehenden Respekt rauben.
Politische Bewegungen jeglicher Couleur haben mit diesem Dilemma zu kämpfen. In der politischen Praxis geschlossene Koalitionen und das Bündnis zwischen Politik und Medien haben eine immer tiefere Kluft zwischen Führung und Basis aufgerissen, eine strukturelle und symbolische Distanz, die ihren Ausdruck in der Gleichsetzung von Koalition und Verschwörung findet. Diese Gleichsetzung ist die moderne Erscheinungsform jenes schändlichen Betrugs, von dem Mandeville vor langer Zeit in seiner Bienenfabel sprach. Dasselbe gilt für die gesichtswahrenden Rituale, die für die Öffentlichkeit nicht durchschaubar sind. Beide sind besonders problematisch für die Linke, wie Kritiker der deutschen Sozialdemokraten wussten, die sich an Bismarcks sozialpolitischer Koalition beteiligten. Wenn Reformen von oben diktiert werden, bleibt die Gleichheit auf der Strecke. Und wenn man die Gleichheit schwächt, wird Solidarität zu einer Abstraktion.
Die entgegengesetzte Betonung kooperativer Politik auf kommunaler Ebene soll diese Mängel der an der Spitze geschlossenen Koalitionen beheben.
** Die deutsche, auf Forschung ausgerichtete Universität gab in Amerika die Anregung zur Gründung der University of Chicago und der Johns Hopkins University.
Gemeinwesen
Saul Alinsky (1909–1972) war wohl der erfolgreichste amerikanische Community organizer (»Gemeinwesenarbeiter«) des vergangenen Jahrhunderts (meine Familie kannte ihn gut, deshalb bin ich möglicherweise etwas voreingenommen). In Chicago kämpfte Alinsky für die Rechte der dortigen Afroamerikaner und gegen den »Daley-Apparat«, die politische Organisation des Bürgermeisters von Chicago, die eine rigide Rassentrennung in der Stadt durchgesetzt hatte. Außerdem half er Weißen und Schwarzen, sich gegen den zuweilen rabiaten Zugriff nationaler Gewerkschaftsorganisationen zu wehren. Seine Methode der »Gemeinwesenorganisation« bestand darin, auf die
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