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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
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Graswurzelbewegungen darstellte. Diese Reformbewegung sah in der Kooperation kein strategisches Werkzeug, sondern ein Ziel an sich. Sie gehörte in ihren Anfängen keiner bestimmten politischen Ideologie an. Lokale amerikanische Kirchengemeinden setzten diese Ideen ebenso um wie die britischen Freimaurer des 19. Jahrhunderts. In Frankreich sorgte sie für die Wiederbelebung der confréries , alter Gilden und Zünfte, die man zu Wohltätigkeitsgesellschaften umbaute. Im Frankreich des 19. Jahrhunderts gliederte man den confréries Konsumgenossenschaften an, und in Großbritannien versorgten Baugenossenschaften Arbeiter mit Krediten für den Bau von Häusern. Auf die Bildung von Vereinen und Genossenschaften als eigenständiges Ziel setzte auch der Anarchist Peter Kropotkin. Er war der Ansicht, dass Gewerkschaften nicht zur Grundlage politischer Parteien werden, sondern als Gemeinwesen eigener Art fungieren sollten – eine Sicht der Gewerkschaftsbewegung, die in so unterschiedlichen Weltgegenden wie Barcelona, Moskau und dem Nordwesten der Vereinigten Staaten zahlreiche Anhänger fand.
    Die Spaltung zwischen politischer und sozialer Linken gilt manchen als Unterscheidungsmerkmal zwischen Europa und Amerika, wobei die europäischen Radikalen angeblich den Staat und die Einwirkung von oben nach unten, die Amerikaner dagegen die Zivilgesellschaft und den Aufbau von unten nach oben in den Vordergrund gestellt hätten. Die angeführten Beispiele zeigen, dass diese Sicht nicht stichhaltig ist. Außerdem entwickelten die Vereinigten Staaten, wie Theda Skocpol gezeigt hat, nach dem Bürgerkrieg erste Ansätze eines Sozialstaats, und um 1900 galt ein Großteil der politischen Aktivitäten auf Seiten der amerikanischen Linken der Stärkung dieser Ansätze. 8 Die Unterschiede zwischen politischer und sozialer Linken waren keine Frage der Nationalität, sondern lagen im Gegensatz zwischen nationaler und lokaler Solidarität.
    Das beste in der Pariser Ausstellung gezeigte Beispiel für eine von unten nach oben aufbauende Solidarität war das settlement house . Das von einem privaten Verein getragene settlement house war ein Gemeinschaftshaus oder Nachbarschaftsheim in einem armen Stadtviertel, in dem gering qualifizierte Arbeiter Bildung erwerben, Rat in alltäglichen Problemen erhalten oder einfach in einem warmen, sauberen Raum Entspannung finden konnten. Die dafür erforderlichen Dienste wurden meist unentgeltlich von Frauen aus der Mittelschicht erbracht. Kauf oder Anmietung der Baulichkeiten wurden mit Spenden aus derselben Schicht finanziert, auch wenn mancherorts Mitglieder ärmerer Schichten gleichfalls beisteuerten, was ihnen möglich war, indem sie putzten, Reparaturen vornahmen oder für die Gemeinschaft kochten. Diese Nachbarschaftsheime waren in der Regel klein. Ein oder zwei Vollzeitbeschäftigte, unterstützt von einem Dutzend Teilzeitkräften, dienten einer Gemeinde aus 600–800 Leuten, die am Abend das Haus besuchten (Kinderbetreuung gab es kaum, und ältere Kinder mussten tagsüber gewöhnlich arbeiten). Die Bewegung gewann in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts an Schwung und breitete sich in Europa vom Londoner East End bis nach Moskau aus, wo Alexander Zelenko solche Arbeiterheime gründete. Sie erreichte schließlich auch Amerika. Bald fanden sich Nachbarschaftsheime auch in New York, und in Chicago gründete Jane Addams das Hull House.
    Auch die kleine Ausstellung des Hampton und des Tuskegee Institute bewegte sich auf der sozialen Seite der Spaltung. Diese lokalen Einrichtungen versuchten, den Ausbildungsstand und die Moral ehemaliger Sklaven durch kooperative Arbeit zu heben. Die beiden Institute waren wie die Nachbarschaftsheime kleine Einrichtungen und ganz auf Spenden wohlhabender weißer Gönner angewiesen. Von den settlement houses unterschieden sie sich durch die Tatsache, dass viele Afroamerikaner als Sklaven auf den Plantagen beträchtliche Fertigkeiten in Landwirtschaft, Zimmern und Schreinern, Hausbau und Haushalt erworben hatten. Ältere ehemalige Sklaven gaben diese Fertigkeiten dort an die jüngere Generation weiter, und es gab kaum weiße Lehrer.
    Die europäischen Wurzeln der amerikanischen Werkstätten lassen sich unter anderem bis zu Robert Owen zurückverfolgen. Owen wurde 1771 in einer in bescheidenem Wohlstand lebenden Waliser Familie geboren und erwies sich bereits gegen Ende seines zweiten Lebensjahrzehnts als geschickter Organisator des neuen, damals in Großbritannien

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