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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
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belegen. Owen folgte diesem Gedanken, weil er wie Émile Durkheim glaubte, dass die Fabrik eine primitivere Form sozialer Organisation sei, ein Rückschritt in der menschlichen Zivilisation. Die Idee der Werkstatt geht über die von den Marxisten in den Vordergrund gestellte Frage des Eigentums an den Produktionsmitteln hinaus und betrifft auch die Frage, wie man sich sozial verantwortlich verhalten kann, wenn man die Kontrolle besitzt. In Owens Augen sind Loyalität und Solidarität unerlässlich für die Produktivität einer Institution. Moderne Industriesoziologen haben gezeigt, wie recht Owen damit hatte. 24 Organisationen, ob nun profitorientiert, staatlich oder auf wohltätige Zwecke ausgerichtet, müssen Engagement aufbauen. Owens Idee der Werkstatt ist die einer Institution, die langfristigen wechselseitigen Nutzen und Loyalität mit kurzfristiger Flexibilität und Offenheit kombiniert.
    In gewisser Weise war Owens Vorstellung von der Werkstatt auch die von Google Wave. In diesem Programm wechselten die Menschen von Fenster zu Fenster, Aufgabe zu Aufgabe, Rolle zu Rolle. Anders als der Behauptungsfetisch-Blog hoffte das Programm, dass ein wechselseitiger und gleichmäßiger Nutzen entstand und die Menschen online Loyalität zueinander entwickelten. Eine weitere moderne Variante der Werkstatt ist das wissenschaftliche Labor, das Owen explizit vorhersah. »Fabrikmäßige Wissenschaft« erschien ihm wie ein mechanisches Testen von Hypothesen. Ein innovativeres Labor ermöglicht dagegen echte, für Überraschungen offene Experimente. Gute Laborarbeit gleicht einer Versuchswerkstatt.
    In sozialer Hinsicht dachte Owen an eine, wie man dies nennen könnte, mobile Solidarität, die die Werkstatt aus ihrer Verwurzelung in einer einzelnen Gemeinschaft herauslöste. Wie die Arbeit in der vernetzten Produktion umherwanderte und der Inhalt der Arbeit sich entwickelte und durch Experimente veränderte, so sollte auch die Kooperation in der Werkstatt flexibel und beweglich sein. Die Kooperationsfähigkeit sollte sich im Ich des Arbeitenden herausbilden und von einem Ort an den anderen transferiert werden können. Es ist eine Kooperation, wie ein reisender Musiker sie praktiziert, wenn er die Fähigkeit erlangt hat, mit den verschiedensten Musikern an unterschiedlichen Orten zusammenzuarbeiten. Genau das hatte auch Washington im Sinn. Die Fähigkeit, als freier Mensch zu kooperieren, sollte in spezialisierten Einrichtungen erworben und dann mit nach Hause genommen werden.
    Washingtons Strenge als Schöpfer und oberster Leiter der Institute – die so gar nicht zu seinen Vorstellungen davon passt, wie seine Schützlinge sich untereinander verhalten sollten – stammte aus einer anderen Quelle, nämlich jener Vorstellung von der Werkstatt, die Charles Fourier an der Wende zum 19. Jahrhundert entwickelt hatte. Fourier bezeichnete seine Werkstätten als »Phalansterien« oder »Grandhotels« – riesige Gebäude, die nach einem ausgeklügelten Plan Wohnung, Arbeit und Ausbildung boten. Sie sind der Ursprung der modernen Fabrikstadt. Fourier sah auch eine direkte Kooperation vor, die in den »Phalanxen«, den Flügeln und Stockwerken des Hotels, praktiziert werden sollte.
    Fourier teilte den Glauben der Utilitaristen des 18. Jahrhunderts an das größtmögliche Wohl der größtmöglichen Zahl. Er wollte die Massenarmut beseitigen, wenn auch nicht die Armut jedes Einzelnen. Den »verdientermaßen Armen« wies er in seinem Hotel das oberste Stockwerk und den Juden, die er hasste, das Erdgeschoss zu, wo sie die schmutzigsten Arbeiten verrichten sollten. Doch Fourier war kein rundum bösartiger Spinner. Er versuchte lediglich herauszuarbeiten, wie man die Arbeitsteilung in der Fabrik interaktiver gestalten konnte (der Briefkasten für Verbesserungsvorschläge war einer seiner guten Einfälle). Und er versuchte herauszufinden, wie die Arbeit selbst spielerischer und erfinderischer werden konnte, etwa durch große Spielzeugkisten voller Werkzeuge im Phalansterium, mit deren Hilfe die Arbeiter verschiedene Möglichkeiten der Ausführung einer Arbeit erproben konnten. Dennoch handelte es sich um eine von oben kommende Planung reinsten Wassers, eine Werkstatt, die in toto konzipiert worden war, bevor man sie realisierte, mit einem »Omniarchen« an der Spitze, der die Werkzeuge in der Spielzeugkiste auswählte und bestimmte, in welchen Räumen jene Armen leben sollten, die ihre Armut angeblich am meisten verdienten. Die Industrieplanung

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