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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
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herrschte. 27 Sie positionierte die Kamera so, wie ein Arbeiter die Menschen in seiner Umgebung sähe. Auf diesen Fotografien werden die Menschen in der Umgebung unscharf, oder man sieht nur einen Teil von ihnen. In der mechanischen Zusammenarbeit in der Fabrik verschwimmt das, was andere tun, während auf den im Institut aufgenommenen Fotografien alles scharf ist und andere Menschen vollständig im Bild sind.
    Johnstons berühmteste Fotografie zeigt sechs Männer beim Bau einer Treppe. Jeder der sechs entfaltet andere Fertigkeiten, die jedoch auf die anderen abgestimmt sind. Jeder vertieft sich in seine Arbeit, ist sich der anderen aber bewusst. Das Erstaunlichste an dieser Fotografie ist wahrscheinlich der Ausdruck auf den Gesichtern der Männer – es gibt keinen. In die jeweils eigene Arbeit vertieft, wirken ihre Gesichter heiter. Das Bild ist unter anderem deshalb so eindrucksvoll, weil es jeden Anflug von Agitprop vermeidet, wie man es etwa auf Bildern sieht, die erhobene Fäuste als Symbol der Solidarität zeigen. Die Gesichter wirken nicht besonders glücklich und zeigen auch keine Anzeichen von Erregung – nur Vertiefung in das eigene Tun.
    Johnston inszenierte diese Fotografie ähnlich einem Choreographen jedoch auch, um den Bezug zwischen den Arbeitern zu verdeutlichen. Sie zeigt alle Phasen des Baus einer Treppe. Auf einen Blick erhält man so eine klare Erzählung der zu diesem Zweck geleisteten Arbeit. Die Arbeiter blicken einander nicht an, aber die Choreographie macht deutlich, dass eine enge Verbindung zwischen ihnen besteht. Jeder arbeitet für sich und wirkt dabei entspannt, aber man spürt nicht die Zwanglosigkeit der Begegnungen im Nachbarschaftsheim. Sie sind entspannt, obwohl sie gemeinsam eine anspruchsvolle Aufgabe erledigen, entspannt auch im erfahrenen Umgang mit ihren Werkzeugen. Beim Betrachten dieser Fotografie hat man das Gefühl, dass die Menschen in dieser Werkstatt genau so sind, wie sie erscheinen. Es gibt dahinter keine verborgene Geschichte, keine Koalition, die sie eingegangen wären. Die Struktur des Bildes liegt in der Erzählung über die Herstellung einer Treppe, die ihr gemeinsames Ziel in der Zeit darstellt. Das Projekt sorgt für ihren wechselseitigen Respekt.

    In diesem Kapitel habe ich versucht, den Unterschied zwischen politischer Kooperation als solcher und einer, wie man dies nennen könnte, Kooperationspolitik zu verdeutlichen.
    Politische Kooperation ist dann im Spiel der Macht notwendig, wenn eine Partei zu schwach ist, allein zu regieren oder allein zu überleben. Politische Kooperation bedarf der menschlichen Feinabstimmung durch Rituale wechselseitigen Respekts; gemeinsame Interessen allein reichen nicht aus, wenn sie erfolgreich sein soll. Wenn aber die Führungsspitzen eine politische Zusammenarbeit eingehen, drohen ihnen ernsthafte Probleme mit der Basis, den Massen, den Menschen unten. Die in der Kooperation von der Führungsspitze eingegangenen Kompromisse erscheinen der Basis oft als Verrat. Die Identität einer politischen Gruppe kann durch Verhandlungen ausgehöhlt werden. Wenn Organisationen größer und stärker werden, errichtet die Bürokratie Schranken zwischen Führung und Basis. Die Rituale, die den Zusammenhalt der Führer in den Hinterzimmern der Macht sichern sollen, sind für Außenstehende undurchsichtig. All diese Faktoren können bei den Menschen Ressentiments auslösen, das Gefühl, verraten zu werden, weil die Eliten eher bereit erscheinen, untereinander zu kooperieren als mit denen da unten.
    Kooperationspolitik kann in nichtpolitischen Organisationen durchaus zu ähnlichen Spannungen zwischen Spitze und Basis führen, doch wenn das Ziel in direkten sozialen Kontakten besteht, ist diese Gefahr geringer. Solche Organisationen müssen sich eher damit auseinandersetzen, wie die Menschen sich im persönlichen Kontakt zueinander verhalten sollen. Das Nachbarschaftsheim griff die – erstmals von Georg Simmel formulierte – Frage der Sozialität auf, die Frage nämlich, wie man in einer komplexen Gesellschaft voller Unterschiede leben soll. Einrichtungen wie Hull House versuchten, das innere und oftmals passive Wissen um die anderen in aktives Engagement zu verwandeln. Die Strategie, die man in den Nachbarschaftsheimen und in der von Saul Alinsky konzipierten Gemeinwesenarbeit wählte, betont zu diesem Zweck informelle Kontakte, ein Prinzip, das die Gemeinwesenarbeiter in »Towles Regel« auf sich selbst anwendeten: Unterstützen, nicht

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