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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
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mit ihrer Mutter als Weberinnen. Die Werkstatt vermittelte auch eine Idee von Gerechtigkeit, wonach man den Menschen die Erzeugnisse ihrer Arbeit nicht willkürlich wegnehmen darf, und sie genoss ein gewisses Maß an politischer Autonomie, denn die Handwerker durften selbst bestimmen, wie sie ihr Handwerk am besten ausübten.
    Als kultureller Ort entwickelte die Werkstatt seit der Antike komplexe soziale Rituale. Diese Rituale basierten auf einem Ehrenkodex, wurden aber nicht im Verborgenen praktiziert wie in politischen Koalitionen, sondern kennzeichneten öffentlich die wechselseitigen Verpflichtungen zwischen ungleichen Partnern – zwischen Meister, Gesellen und Lehrlingen innerhalb der Werkstatt. So schworen chinesische Meister den Eltern eines neuen Lehrlings mit einem ausführlichen Eid, das Kind in loco parentis zu beschützen. Und im antiken Athen verpflichteten sich die im selben Handwerk tätigen Meister alljährlich in zeremoniellen Festen, einander in Hungersnöten oder Kriegszeiten beizustehen. 21
    Angesichts der rituellen Solidarität glaubten sowohl Konfuzius als auch Platon, dass Handwerker gute Bürger seien. 22 Das Gesellschaftsbild der Handwerker wurzelte eher in konkreten Erfahrungen mit anderen Menschen als in bloßer Rhetorik, in unscharfen Abstraktionen oder in kurzzeitigen Leidenschaften. Die Idee des Handwerker-Bürgers stand in krassem Widerspruch zur damaligen Wirklichkeit. Viele Handwerker im antiken Athen und die meisten Handwerker im antiken Rom waren Sklaven oder lebten in sklavenähnlichen Verhältnissen und besaßen nicht das volle Bürgerrecht. Auch war die Geschichte der europäischen Werkstatt durchaus nicht durchgängig von Stabilität geprägt. Keine produktive Tätigkeit bleibt immer dieselbe. Dennoch hielt sich die Idee des Handwerker-Bürgers und findet sich später dann in den mittelalterlichen Zünften in Paris, Florenz oder London wieder. Mitte des 18. Jahrhunderts stellte Diderots Encyclopédie die Fertigkeiten des Handwerkers auf eine Stufe mit denen des Soldaten und des Staatsmanns und pries sie als unverzichtbar für das Wohlergehen der Gesellschaft. Thomas Jefferson hielt Handwerker aus denselben Gründen wie Platon für gute, zuverlässige Bürger. 23
    Nicht ganz so weit entfernt von Booker T. Washingtons Zeiten wurde die Werkstatt zu einer Ikone der Reformbewegung. Als der Industriekapitalismus seine negativen Seiten zeigte, erschien die handwerkliche Werkstatt wie ein Vorwurf an die Fabrik, weil es dort menschlicher zuging. Doch sie war auch dem Untergang geweiht, da die Fabrik unausweichlich dazu bestimmt schien, diese bessere Lebensweise zu zerstören. Es heißt manchmal, die Handwerkergemeinschaften, die Robert Owen in Schottland und Amerika, John Ruskin und William Morris in England gründeten, seien Ausdruck einer nostalgischen Sehnsucht nach den vorindustriellen Zeiten gewesen. Wenn das so war, trifft dies auf Booker T. Washington gewiss nicht zu, denn für ihn als ehemaligen Sklaven gab es an der Vergangenheit kaum etwas zu bedauern. Außerdem sah er in Owen keinen rückwärtsgewandten Kritiker.
    Zu den interessanten Aspekten des Idealisten Robert Owen gehört die Tatsache, dass er darüber nachdachte, wie man die Werkstatt modernisieren konnte. Er bevorzugte ein System, bei dem ein Hauptauftragnehmer Aufträge an kleine Werkstätten vergibt. Heute würde man von einer »vernetzten Produktion« sprechen, mit flexiblen Arbeitskräften, die bei Bedarf von einer Werkstatt in die andere wechseln. Owens Idee unterscheidet sich vom Outsourcing , der Auslagerung von Aufgaben, insofern, als dass die Gewinne im gesamten Netzwerk geteilt werden. Ein erfolgreiches modernes Beispiel für diese Version eines im Besitz der Beschäftigten befindlichen Unternehmens ist die britische John Lewis Partnership, ein Beispiel für einen Fehlschlag auf diesem Gebiet sind United Airlines in Amerika zu der Zeit, als die Fluggesellschaft sich im Besitz der Beschäftigten befand. Ich muss leider sagen, dass auch der am Jahresende ausgezahlte Bonus auf eine kluge Idee von Owen zurückgeht. Allerdings ging es ihm dabei anders als den Bankern heute bei ihren obszönen Vergünstigungen um einen Ausgleich der Einkommensunterschiede. Er wollte mit der Verteilung des Gewinns und den Bonuszahlungen die Loyalität gegenüber dem Unternehmen und die Solidarität innerhalb der Belegschaft stärken.
    Es bleibt ein attraktiver Gedanke, auch wenn wir ihn nicht mehr mit dem Etikett »Werkstatt«

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