Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
Vom Netzwerk:
formulierte die Logik der Zwanglosigkeit einmal als Handlungsanweisung für Mitarbeiter: Unterstützen, nicht leiten! Diese Regel fasst die Tradition der Gemeinwesenarbeit zusammen, die von Jane Addams bis Saul Alinsky reicht. Um Towles Regel gerecht zu werden, müssen die Gemeinwesenarbeiter selbst unter zwanglosen Bedingungen arbeiten. Dann, so hofft diese Tradition der Gemeinwesenarbeit, wird aus Solidarität eine Erfahrung geselligen Lebens.
    In meiner Kindheit hatte ich Gelegenheit, diese Vorgehensweise aus nächster Nähe zu erleben. Die Sozialsiedlung, in der ich lebte, Cabrini Green in Chicago, lag nicht weit von Hull House entfernt, auch wenn ich einen Ableger dieser Einrichtung direkt am Rande der Siedlung besser kannte. Der Multikulturalismus hatte sich innerhalb der Siedlung von der ethnischen auf die rassische Zugehörigkeit verschoben. Cabrini Green, wo in den 1950er Jahren noch einige weiße Familien lebten, hatte sich zu einem täglichen gewalttätigen Schlachtfeld zwischen schwarzen und weißen Kindern entwickelt.
    Ein Ausweg war die Schule, die viele Kinder besuchten, eine katholische Einrichtung, die von Nonnen der Sisters of Charity of the Blessed Virgin Mary geleitet wurde. Diese Nonnen unterrichteten uns streng und gut und achteten nicht sonderlich darauf, ob wir schwarz oder weiß waren. Der Hull-House-Ableger kümmerte sich dann nachmittags um die sozialen Unterschiede. Man wandte Towles Regel auch auf die Rasse an. An Spielen und Projekten waren schwarze und weiße Kinder gleichermaßen beteiligt. Bei den Aktivitäten selbst, ob nun Basteln oder Musizieren, gab es nur wenig Aufsicht und Kontrolle. Außenstehenden erschien das Nachbarschaftsheim anarchisch. Die Nonnen waren der Ansicht, in dieser weltlichen Einrichtung würden die Kinder vernachlässigt. Die Gemeinwesenarbeiter begegneten diesem Vorwurf mit dem Hinweis, dass sie herauszuarbeiten versuchten, wie man über Rassengrenzen hinweg zusammenarbeiten konnte, in deutlichem Gegensatz zu der gewalttätigen Anarchie, die nach dem Zweiten Weltkrieg wie schon Ende des 19. Jahrhunderts auf den Straßen des armen Chicago herrschte. 18
    Towles Regel symbolisiert die für den Kampf der Arbeiterklasse folgenreiche Trennung der Wege zwischen der politischen und der sozialen Linken. Vor einem Jahrhundert begann die politische Linke zu träumen, aus den unzufriedenen Einwanderern könne ein neues Proletariat werden. Die Nachbarschaftsheime weigerten sich, zu Zentren der Revolte zu werden, weil politischer Protest allein kein Weg zu sein schien, die durch die Entwurzelung geschlagenen persönlichen Wunden zu heilen. Das heißt nicht, die Gemeinwesenarbeiter in den Nachbarschaftsheimen wären in dem Sinne apolitisch gewesen, dass sie kein Interesse an politischen Wahlen gehabt hätten. Tatsächlich kam die größte Unterstützung für die winzige Socialist Party of America von Gemeinwesenarbeitern. In ihrer unmittelbaren Arbeit wussten sie freilich, dass der bloße Zorn auf das System den Menschen kaum helfen konnte, ihr alltägliches Leben zu bewältigen. Der Kampf der Arbeiterklasse bestand nach Ansicht der Gemeinwesenarbeiter zunächst und in erster Linie in der Förderung des Gemeinschaftsgeflechts. Ob auf diesem sozialen Fundament eine breitere Bewegung entstand, war ungewiss. Doch die Gemeinwesenarbeit ging davon aus, dass man schlichtweg erst einmal dieses Fundament legen musste.
    Trotz allem birgt Zwanglosigkeit stets die Gefahr der Desorganisation. Und selbst wenn es den Nachbarschaftsheimen gelingt, den Menschen Mut zu machen, besteht die Gefahr, dass dies nur eine gelegentliche gute Erfahrung, aber keine wirkliche Lebenshilfe darstellt. Das gilt möglicherweise auch in einem allgemeineren Sinne für die Zusammenarbeit auf der Ebene lokaler Gemeinschaften. Sie bietet gute Erfahrungen, ist aber keine Lebensweise. Sie haben sich gut gefühlt? Na und? Manuel Castells, der gegenwärtig führende Experte für Fragen der Gemeinwesenarbeit, kritisiert Saul Alinsky und seine Schule genau aus diesen Gründen. Die Herstellung von Verbindungen innerhalb der Gemeinde muss irgendwohin führen. Das Handeln benötigt eine Struktur, es muss nachhaltig werden. 19
    Die kleinste Abteilung des Musée social in Paris befasste sich mit dieser Frage. Dort präsentierte man Ideen zu einer Mischung aus formaler und informeller Kooperation, die zielgerichtet sein und ein Leben lang anhalten sollte.

Die Werkstatt

    Nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg waren die

Weitere Kostenlose Bücher