Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält
befreiten Sklaven mit der Aussicht konfrontiert, verarmte Landarbeiter zu werden, die immer noch unter der Knute ihrer ehemaligen Besitzer standen. Die rechtliche Freiheit änderte wenig an ihrer wirtschaftlichen und sozialen Not. Sie waren in derselben Falle gefangen wie die russischen Leibeigenen, die 1861 die Freiheit erlangt hatten. Doch auf den Plantagen hatten viele Sklaven ähnlich den russischen Leibeigenen handwerkliche Fertigkeiten erworben, die sie ohne einen Herrn ausüben konnten. Der ehemalige Sklave Booker T. Washington entwickelte ein Projekt, in dem Afroamerikaner nach der Überwindung der Sklaverei von zu Hause weggehen, in zwei Modelleinrichtungen, dem Hampton und dem Tuskegee Institute, eine Ausbildung erhalten und dann wieder in ihre Heimatgemeinde zurückkehren sollten. Er hoffte, in dieser fern der Heimat verbrachten Zeit werde die Fähigkeit zur Kooperation dank unmittelbarer Erfahrung und täglichen Kontakts mit anderen als Gleichberechtigten wiederbelebt und gestärkt werden. Wie die Nachbarschaftsheime legte Washingtons Projekt das Schwergewicht auf die lokale Institution, versuchte aber, durch die Vermittlung technischer Fertigkeiten bleibenden Einfluss auf das Leben der Beteiligten zu nehmen. Die Objekte im amerikanischen Teil der Pariser Ausstellung verkörperten diesen hohen Anspruch.
Das Tuskegee Institute wurde 1881 in Alabama eröffnet. Seine Schwestereinrichtung, das Hampton Normal and Agricultural Institute in Hampton, Virginia, war bereits 1866 , kurz nach dem Ende des Bürgerkriegs gegründet worden. Washington hatte in Hampton eine Ausbildung erhalten und wurde später der Leiter des Instituts. Er gründete das Tuskegee Institute eigens für jüngere ehemalige Sklaven. Beide Einrichtungen unterrichteten die Schüler auf den Gebieten der Landwirtschaft, des Gartenbaus, des Zimmermannshandwerks und der Metallbearbeitung. Um einen Abschluss zu erhalten, mussten die Schüler auch lernen zu lehren, damit sie die erworbenen technischen Fertigkeiten nach der Rückkehr in ihre Heimatorte weitergeben konnten. In gewisser Weise predigte Washington bereits Bekehrten. Die Arbeit war nicht leicht, schrieb Washington in seiner Autobiographie, aber die Schüler »nahmen nicht nur ihre Tagesarbeit, sondern auch das Studium in den Abendstunden so ernst, daß sie erst beim Läuten der Abendglocke ihre Bücher zuklappten«. 20 Gewiss hatte auch vor dem Bürgerkrieg ein harter Kern gemeinsamer Stärke die Sklaven zu Gemeinschaften zusammengeschweißt, doch Washington wusste aus seiner eigenen Vergangenheit als Sklave, dass die Unterdrückten die Demütigungen ihrer Herren in Gestalt gegenseitigen Misstrauens verinnerlichen konnten. Als Realist wusste er, dass die Ketten zu bleibenden Verletzungen führen.
Doch er war auch ein Idealist, nach damaligem Verständnis ebenso wie nach heutigem. Die Gleichheit der Geschlechter war ebenfalls Teil der Bemühungen um eine Verbesserung der Lage der ehemaligen Sklaven. Zu diesem Zweck überdachten die Organisatoren die handwerklichen Tätigkeiten. Auf den Plantagen war die Käseherstellung traditionell eine harte männliche Arbeit gewesen. Die Institute gestalteten die dazu benötigten Werkzeuge und Geräte so, dass auch Frauen sie leicht handhaben konnten. In einem ähnlichen Geiste lernten Männer dort, Nähmaschinen zu reparieren und damit zu arbeiten, wodurch sie Zugang zu einer traditionell weiblichen Sphäre erhielten. Jede Werkstatt arbeitete teilweise selbständig, und es gab spezielle Versammlungen, auf denen die dort tätigen Schüler ohne ihre Lehrer über die Arbeit diskutierten. So fanden sich denn auch hier die Rochdale-Prinzipien: für jeden zugängliche Arbeit, aktive Partizipation und neue Formen der Kooperation in der Arbeit. Dennoch konnte die Arbeit in den beiden Instituten nicht völlig frei gestaltet werden. Jede Werkstatt hatte feste Produktionsziele zu erfüllen, und die Gesamtstruktur der Einrichtungen hatte Booker T. Washington allein festgelegt.
Die Werkstatt ist von alters her ein Modell für kontinuierliche Kooperation. In der Antike – im alten China wie auch in Griechenland – galt sie als die wichtigste Grundlage des städtischen Lebens, und als Produktionsstätte griff sie weit stärker auf Arbeitsteilung zurück als die Landwirtschaft. Die Schwierigkeiten der handwerklichen Arbeit verbanden sich mit dem familiären Wert einer generationenübergreifenden Kontinuität. Söhne arbeiteten mit ihrem Vater als Töpfer, Töchter
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