Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält
den Bezugspunkt. Auf Kompetenz basierende Vergleiche haben eine besonders zersetzende Wirkung auf Vertrauen. Es fällt schwer, jemandem zu vertrauen, den man für inkompetent hält.
Im Finanzkapitalismus gilt die Arbeit der Bankangestellten zu Recht als hochqualifizierte Tätigkeit. Buchhalter und Bilanzprüfer in Banken und Investmenthäusern zeichnen nicht einfach nur mechanisch die Ergebnisse von geschäftlichen Aktivitäten auf. Die Aufbereitung von Zahlen für den institutionellen Gebrauch ist eine komplexe Fertigkeit. Dem Ethos des Handwerkers entspricht es, gute Arbeit leisten zu wollen und auch tatsächlich zu leisten. Der Soziologe Matthew Gill stieß bei britischen Buchhaltern auf eine Hackordnung, die auf dem handwerklichen Ethos basiert. Das größte Ansehen unter den von ihm befragten Buchhaltern genossen jene, die stets auf die Zuverlässigkeit ihrer Zahlen bedacht waren. 28 Gute Arbeit dieser Art ist kontextabhängig. »Sie müssen Ihre Firma gut kennen«, sagte mir ein Buchhalter von der Wall Street. »Sie müssen herausfinden, wen Sie anrufen können und wer Ihnen eine Erklärung liefern kann, wenn Zahlen Ihnen seltsam vorkommen.« Und ein IT-Manager der in Konkurs gegangenen Lehman-Bank sagte: »Jeder kann Technologie von der Stange kaufen. Aber von welcher Stange man kaufen soll, weiß nur, wer den Anwender versteht … Und das braucht Zeit.«
In technisch hochqualifizierten Tätigkeiten gründet Vertrauen im Respekt vor der Kompetenz der anderen. Man vertraut ihnen, weil man den Eindruck hat, dass sie wissen, wovon sie reden. In den internen Abteilungen an der Wall Street hat man allerdings wenig Respekt vor den technischen Fertigkeiten des Managements in den kundenorientierten Abteilungen. Nach dem Crash erfuhr die leidende Öffentlichkeit, dass viele Akteure in der Finanzbranche selbst kaum verstanden, was sie da taten. In den internen Abteilungen hielten viele Angestellte ihre Vorgesetzten schon während des Booms für unfähig. So berücksichtigten viele die beim höheren Management wahrgenommene Inkompetenz bei ihren eigenen Investitionen. Sie bereiteten sich auf einen Abschwung vor, indem sie die hochriskanten Anlagen ihrer Vorgesetzten mieden und ihr Geld sicher anlegten oder ihre Schulden so weit wie möglich abbauten. Das Vokabular, das diese vorsichtigen Bankangestellten in unserer Befragung zur Kennzeichnung dieser Produkte verwendeten, wäre ganz nach dem Geschmack jedes Marxisten: »Märchengold«, »Schrottzertifikate«, »Junkbonds, und ich betone das ›Junk‹« – so bezeichneten sie die von ihren eigenen Kundenberatern verkauften Produkte. Das ist der grobe Wortschatz von Handwerkern der Finanzwirtschaft, die ihre eigene Arbeit mit den Aktivitäten ihrer Vorgesetzten vergleichen.
Im Management glaubt man natürlich gern, die Fähigkeiten stiegen mit der Position im Unternehmen. Zum entgegengesetzten Schluss gelangt eine Studie des Chartered Management Institute of Great Britain: Genau die Hälfte der Befragten glaubte, es besser machen zu können als ihre gegenwärtigen Manager. Und diese Zahl ist nicht nur Ausdruck des Selbstwertgefühls der Befragten, denn 47 Prozent gaben an, sie hätten bereits eine Arbeitsstelle wegen schlechten Managements aufgegeben, und 49 Prozent erklärten, sie »wären bereit, sich mit einem geringeren Gehalt zufriedenzugeben, um mit einem besseren Manager zu arbeiten«. 29
Diese Auffassung hat etwas von einer stereotypen Klage. In den oberen Etagen scheinen die Positionen aufgrund von Titeln vergeben zu werden (ein Harvard-MBA ist ein sicherer Zugangspass) oder aufgrund des Geschicks in der unternehmensinternen Politik. Das Vertrauen schwindet freilich, wenn dieses Stereotyp den Tatsachen entspricht und die Führungsspitze nicht weiß, was im Unternehmen vor sich geht. Meine Interviews erbrachten in dieser Hinsicht eine kleine, aber vielsagende Nuancierung, die sich in der Studie des Chartered Management Institute nicht findet. Die Informanten hoben einzelne Führungskräfte in den Investmentbanken und Hedgefondsgesellschaften hervor, die ihnen kompetent und umsichtig erschienen. Wenn man von diesen Managern sprach, nannte man den Vornamen, während man bei inkompetenten Managern lediglich »er« oder »sie« sagte.
Im Handwerk der Finanzbranche beruht mangelnde Achtung vor höheren Chargen oft auf einer technischen Grundlage, etwa im Verständnis der Algorithmen, mit denen man Finanzinstrumente wie die Kreditausfall-Swaps erzeugt. Diese
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