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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
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24 Die Struktur von Organisationen vermag solche Silos hervorzubringen. In einer weiteren Studie fanden Forscher der AMA heraus, dass sich weniger als die Hälfte der Organisationen systematisch um ein Feedback ihrer Beschäftigten bemühte. Die Kommunikation verlief größtenteils von oben nach unten. Andere Studien zeigen, dass die Leitungsebene die von unten an sie herangetragenen Vorstellungen nicht ernst nimmt. 25 Der Siloeffekt ist die moderne Version jenes Mangels, den die Gemeinwesenarbeiter vor einem Jahrhundert zu bekämpfen versuchten, des strukturellen Effekts nämlich, der in die hierarchisch verfassten Organisationen der politischen Linken eingebaut war.
    In den Interviews vermittelten die Befragten allerdings eher den Eindruck, dass sie die Isolation selbst herbeiführten. »Ich bin einfach so gestresst«, sagte eine IT-Angestellte, »dass ich mich auf die Probleme anderer Leute einfach nicht einlassen kann.« Stress ist eine Erfahrung mit zwei Gesichtern. Eine Bilanzprüferin sagte mir: »Ich wollte nicht, dass andere Leute mich störten, ich hatte einfach zu viel zu tun.« Ihre Verwendung der Vergangenheitsform ist hier aufschlussreich. Sie möchte eine neue Seite aufschlagen, sagt sie, und wechselt von der Wall Street in eine »wärmere Arbeitsumgebung« an einer Universität (ich hatte nicht den Mut, diese Erwartung zu kommentieren). Neben der isolierenden Wirkung der Arbeitsbelastung machen viele alte Hasen an der Wall Street auch die Einführung der computerisierten Bildschirmarbeit für diese Entwicklung verantwortlich. Die Menschen starren auf die Bildschirme, statt miteinander zu reden. Die alten Hasen sind auch der Ansicht, die E-Mail-Kommunikation verringere die Kooperation. Eine für die Kontenabstimmung zuständige ältere Dame sagte mir: »Ich schicke der Frau drei Schreibtische weiter eine E-Mail, statt zu ihr hinzugehen.« Und dann gibt es da noch das Problem der Bonuszahlungen.
    Das sind die sagenhaften Zusatzzahlungen, die Topmanager an der Wall Street am Jahresende erhalten. Weiter unten in der betrieblichen Hierarchie sind sie sehr viel kleiner, aber immer noch beträchtlich. Sechs Sachbearbeiter in der Buchhaltung von Lehman Brothers, die mein Forschungsteam befragte, hatten in den letzten fünf Jahren vor dem Zusammenbruch der Bank im Schnitt eine jährliche Bonuszahlung von 45 000 Dollar erhalten – ein Grund vielleicht, weshalb sie, obwohl arbeitslos, mich und meine Studenten zu einem recht teuren Lunch einladen konnten. Die Gewährung von Bonuszahlungen ist jedoch keine Win-Win -Situation, bei der eine Gruppe von Beschäftigten kollektiv belohnt würde. Sie ist vielmehr ein Nullsummenspiel, in dem die einzelnen Beschäftigten in Konkurrenz zueinander treten. »Hier ist mein Freundlichkeitskalender«, erzählte mir ein Buchhalter mit Blick auf den Umgang unter Kollegen: »März – sehr freundlich; Juli – ein wenig abweisend; September – aggressiv; Dezember – jeder für sich.« Ich kann nicht beurteilen, wie sehr das die Menschen während der langen Boomphase störte, aber im Rückblick glaubten die Buchhalter nicht, dass dies gut für die Kommunikation oder die Moral war.
    Heute sehen die meisten Manager im Siloeffekt eine Garantie für niedrige Produktivität. Die Beschäftigten neigen dazu, wichtige Informationen, die ihnen für ihr persönliches Fortkommen bedeutsam erscheinen, für sich zu behalten, und messen dem Feedback der Kollegen keine Bedeutung bei. Ein Gegenmittel ist die Förderung oder gar Durchsetzung von Teamarbeit, doch solcherart erzwungene Kooperation leidet unter der zersetzenden Wirkung der kurzfristigen Orientierung.
    Unter Managementfachleuten gilt es als ausgemacht, dass die Arbeitsgruppen im Idealfall nicht sonderlich groß sein sollten (nicht mehr als fünfzehn oder zwanzig Leute) und dass die Kooperation dann am effektivsten ist, wenn das Team sich mit einem klar definierten Problem oder Projekt befasst. In der Regel bleiben solche Arbeitsgruppen sechs Monate bis zu einem Jahr zusammen. Darin spiegelt sich die Realität von Unternehmen, deren Geschäftsplan und Firmenidentität sich in der globalen Wirtschaft ständig verändern. Lange genug, um ein Projekt zu beenden, aber nicht lange genug, um den Mitgliedern des Teams die Möglichkeit zu eröffnen, wechselseitige Bindungen aufzubauen. 26
    Teamarbeit erfordert daher ein übertragbares Sozialverhalten, das die Gruppenmitglieder überall und mit beliebigen Kollegen einzusetzen verstehen.

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