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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
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in deren besonderen Umständen und Leiden identifizieren oder so, als wären sie alle wie wir selbst. Im ersten Fall handelt es sich um ein Fenster, im zweiten um einen Spiegel. Freud entdeckte die Selbstbespiegelung bei solchen Patienten, die neue Erlebnisse als Erwachsene ständig mit Kindheitstraumen verknüpften. Im Leben solcher Patienten gibt es letztlich nichts Neues, weil sich in der Gegenwart stets nur die Vergangenheit spiegelt.
    Freuds Arbeit über den Narzissmus wurde nach dem Zweiten Weltkrieg verfeinert. Heinz Kohut erweiterte den Gedanken der Selbstbespiegelung um das Konzept des »grandiosen Selbst«. Das »ich« füllt den gesamten Raum der Realität. Diese Grandiosität kommt etwa in dem Bedürfnis zum Ausdruck, stets die Kontrolle zu behalten. Kohut schreibt, die Betonung liege hier eher auf der Kontrolle, die der Betreffende »über seinen eigenen Körper und seinen Geist haben möchte«, als auf dem Erleben anderer Menschen. Wer unter diesem Gefühl der Grandiosität leide, fühle sich von den Bedürfnissen anderer »unterdrückt und versklavt«. 10 In der Folge wird nach Ansicht eines anderen Psychoanalytikers derselben Zeit, Otto Kernberg, das Handeln entwertet. An die Stelle der Frage »Was tue ich?« tritt die Frage: »Was fühle ich?« 11
    Wer in diesem gänzlich selbstbezogenen Zustand lebt, dem bereitet der Einbruch der Realität Angst, weil dieser keine Bereicherung des Ichs verspricht, sondern die Gefahr eines Ichverlusts in sich birgt. Die Angst wird reduziert, indem man das Gefühl der Kontrolle wiederherstellt. Solche psychischen Transaktionen haben auch Folgen für das soziale Verhalten. Insbesondere führen sie zu einer Verringerung der sozialen Kooperation.
    Wie das geschehen kann, zeigt sich zum Beispiel im militärischen Leben. Als »Cowboykrieger« bezeichnet der Soziologe Morris Janowitz Soldaten, die auf dem Schlachtfeld anderen Soldaten nicht helfen und sie durch ihre »Heldentaten« sogar in Gefahr bringen, weil sie – zumindest in ihren eigenen Augen – Ruhm zu erlangen versuchen. 12 Janowitz sagt, der Cowboykrieger spiele vor sich selbst Theater. Ein Psychoanalytiker würde sagen, er mache den Kampf zu einer Selbstbespiegelung. Auf dem Schlachtfeld ist der Narzisst eine Gefahr, denn dort sind die Soldaten auf gegenseitige Hilfe angewiesen. Im 19. Jahrhundert gab der deutsche Militärstratege Carl von Clausewitz, der solche eigennützigen Helden nur allzu gut kannte, Truppenkommandeuren den Rat, »Abenteurer« dieser Art ebenso hart zu bestrafen wie Deserteure. Weiter oben in der Befehlskette erscheint der Cowboykrieger in Stanley Kubricks Dr. Strangelove (1964) in der Gestalt des Generals Jack D. Ripper, als dessen realhistorische Entsprechung im Vietnamkrieg General William Westmoreland gelten kann. In Joseph Hellers Roman Catch-22 erhält die Figur eine weitere Wendung. Die Cowboykrieger des Zweiten Weltkriegs achten durchaus auf ihre Kameraden, wenn es um ihre eigene Selbstdarstellung geht, und möchten erreichen, dass vorsichtigere Soldaten sich als klein empfinden – ein neidvoller Vergleich. Der Unterschied zwischen Kunst und Leben liegt darin, dass die Cowboykrieger in Dr. Strangelove und Catch-22 sehr lustig sind. Auf dem realen Schlachtfeld hat ihr Tun verheerende Folgen.
    Heldentaten sind ein universelles Element aller Kulturen, und in der Regel haben sie moralischen Vorbildcharakter. Sie sollen zeigen, was Mut ist. Dasselbe gilt für das Element der Konkurrenz, das gleichfalls nahezu universelle Bedeutung für das Heldentum besitzt. Auf Homers Schlachtfeldern etwa konkurrieren Krieger, die eigentlich auf der gleichen Seite stehen, miteinander, um ihre Tapferkeit zu beweisen. Heldentum moralisch demonstrativer Art ist allerdings eher etwas Unbewusstes. Narzissmus kommt ins Spiel, wenn der Krieger beim Kämpfen gleichsam in den Spiegel schaut und seine eigene Tapferkeit betrachtet.
    Natürlich wird man einwenden können, Krieg sei so sehr mit Angst beladen wie keine andere Erfahrung. Der Psychiater Robert J. Lifton ist dieser Frage in Studien über Soldaten seit dem Vietnamkrieg nachgegangen. 13 Er spricht von einer »Betäubung«, die es dem Soldaten ermögliche, mit Stress umzugehen. In der Schlacht verfällt der Soldat in einen Zustand der Empfindungslosigkeit und unterdrückt alles, was ihn vom Kampfgeschehen ablenken könnte. Er maskiert seine Gefühle. Kehrt er dann nach Hause zurück, schwindet die Betäubung, Angst und Gewissensbisse kehren

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