Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält
dem anderen ab und häuft Geld an, ohne jemals das Gefühl zu haben, wirklich etwas zu erreichen. Dieses Gefühl hat nur dann Sinn, wenn – zweitens – der Betreffende von Perfektionismus getrieben ist, wie die Psychologie dies heute nennt. Demnach gibt es einen Idealzustand, der die eigentliche Wirklichkeit ist. Halbherzige Maßnahmen und Teilerfolge fühlen sich niemals gut genug an. Diese Menschen streben vergebens nach dem »kristallklaren Bild dessen, der man sein sollte«, wie der Psychoanalytiker Roy Schaeffer dies einmal genannt hat, einem Ideal, dem das wirkliche Leben niemals gerecht zu werden vermag. Drittens leidet der »getriebene Mensch« unter ontologischer Unsicherheit. Ontologische Unsicherheit beruht auf mangelndem Vertrauen in die alltägliche Erfahrung. Das gewöhnliche Leben wird als ein Minenfeld empfunden. Wenn der unter ontologischer Unsicherheit Leidende fremden Menschen begegnet, denkt er in aller Regel zuerst an die Gefahr, die sie darstellen, an die Verletzungen, die sie ihm möglicherweise beibringen. Er ist besessen vom Gedanken an deren Macht, ihm Schaden zuzufügen.
Dieses dritte Element dürfte Weber zumindest zum Teil meinen, wenn er sagt, der getriebene Mensch fühle sich in der Welt nicht heimisch, da er das Gefühl hat, der Alltag sei freudlos und stecke voller Gefahren. Unermüdliche Arbeit erscheint ihm dann wie eine Waffe, mit der er die Gefahren abwehren kann, die andere für ihn darstellen. Er zieht sich in sich selbst zurück. Die Arbeitsethik schwächt den Wunsch, mit anderen zu kooperieren, erst recht mit Menschen, die man nicht kennt. Sie erscheinen schon im Vorhinein als feindselige Wesen, die einem Schaden zufügen möchten.
Ich gebe zu, dass diese psychologische Erklärung der Obsession auch den titanenhaften Kampf mit sich selbst trivialisieren könnte, die metaphysische Angst, die Webers Aufsatz seine bleibende Kraft verleiht. Der amerikanische Autor Lionel Trilling kommt Weber in seinem letzten Buch, Sincerity and Authenticity , vielleicht noch am nächsten. 22 Trilling versteht unter Aufrichtigkeit eine Selbstdarstellung gegenüber anderen Menschen. Soll diese Darstellung gut sein, muss sie sich durch Klarheit und Präzision auszeichnen. Authentizität hat dagegen nichts mit Klarheit und Präzision zu tun. Hier geht es um eine innere Suche, bei der man herausfinden möchte, was man »wirklich« fühlt. Diese Suche besitzt einen stark narzisstischen Zug. Aber sie ist illusorisch. Man schafft es nie, seine authentischen Gefühle zu kennen. In den Sozialwissenschaften ist Authentizität von der Art, wie Trilling sie kritisiert, vielleicht noch am ehesten in der »Maslow’schen Bedürfnispyramide« repräsentiert – benannt nach dem Sozialpsychologen Abraham Maslow, der sein Leben lang die Idee der »Selbstverwirklichung« zu entwickeln versuchte. Trilling war der Ansicht, eine von anderen Menschen, anderen Stimmen losgelöste Suche nach Authentizität sei zum Scheitern verurteilt. Genau das dachte Max Weber auch von der protestantischen Ethik. Sie sorgt dafür, dass die Menschen sich nach innen wenden und auf eine unmögliche Suche begeben. In diesem obsessiven Kampf, bei dem es darum geht, sich selbst zu beweisen, haben andere Menschen keinen Platz – oder allenfalls als Instrumente, als Werkzeuge, die man benutzt. Die Kooperation mit anderen vermag niemanden von inneren Zweifeln zu erlösen, sie hat keinen Wert an sich.
Im zweiten Teil dieses Buches habe ich die Schwächung der Kooperation in drei Bereichen untersucht, in der Ungleichheit während der Kindheit, in der Arbeitswelt und in der kulturellen Formung des Ich. Diese Schwächung ist allerdings nicht fatal, sie lässt sich beheben. Im nächsten Teil werden wir zu klären versuchen, wie man qualifizierte, komplexe Kooperation stärken kann.
DRITTER TEIL
Gestärkte Kooperation
VII Die Werkstatt
Herstellen und Reparieren
Das Hampton und das Tuskegee Institute verkörperten die Hoffnung, dass die gemeinsame Ausübung praktischer Fertigkeiten die Bindungen zwischen den ehemaligen Sklaven stärken könnte. In diesem Kapitel gehe ich dieser Hoffnung nach. Ich möchte zeigen, inwiefern körperliche Arbeit dialogisches Sozialverhalten zu fördern vermag.
Es gibt zwei Arten technischer Fertigkeiten: Herstellen und Reparieren. Das Herstellen mag als die kreativere Tätigkeit und das Reparieren als die geringere, nachträgliche Arbeit erscheinen, aber in Wirklichkeit ist der Unterschied nicht so groß.
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