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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
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Fertigkeiten wird zu einem Ritual, wenn sich dieser Vorgang häufig wiederholt. Angesichts eines neuen Problems oder einer neuen Aufgabe sorgt der Techniker zunächst dafür, dass seine Lösung zur Gewohnheit wird, dann denkt er darüber nach und achtet darauf, dass sich das Ergebnis seines Nachdenkens wiederum als Gewohnheit einschleift. Die verschiedenen Lösungen folgen demselben Weg und füllen den Köcher um weitere Fertigkeiten. Mit der Zeit lernt der Techniker, wie er den Urformen seine individuelle Handschrift aufprägen kann. Viele Handwerker sprechen im Blick auf die Werkstatt von »Ritualen«, und ich denke, hinter dieser saloppen Ausdrucksweise stehen die beschriebenen Rhythmen.
    Lassen sich die Rituale innerhalb der Werkstatt oder des Labors mit den draußen anzutreffenden Ritualen vergleichen? Haben sie etwas mit anderen Ritualen gemeinsam, zum Beispiel mit religiösen? Religiöse Rituale müssen zweifellos erlernt werden, und wer solch ein Ritual ausführt, muss die zugehörigen Worte und Gesten fließend beherrschen. Man könnte allerdings annehmen, dass die bewusste Phase in der Entwicklung handwerklicher Fertigkeiten beim religiösen Ritual fehlt, weil solches Bewusstsein dem Glauben abträglich sei. Während der Reformation begann man, etablierte Riten zu überdenken und deren Ausführung stärker ins Bewusstsein zu heben. Solche Reflexion konnte formale Rituale tatsächlich schwächen, wie dies bei den Quäkern geschah, aber das war keineswegs überall der Fall. Andere protestantische Sekten gaben die Taufe nicht auf, sondern verliehen ihr eine andere Form.
    In der unruhigen Zeit des 16. Jahrhunderts geriet man über die Frage der Fertigkeiten bei der Ausführung von Ritualen in Streit. Das Hochmittelalter hatte die Rituale verfeinert, so dass sie nur noch von hochqualifizierten Professionellen wirklich beherrscht wurden, wie die Entwicklung der Eucharistiefeier zeigt. Luther lehnte Rituale ab, die besonderer Fertigkeiten bedurften, weshalb er denn auch die Bibel in die Sprache der gewöhnlichen Gläubigen übersetzte und einfache Kirchenlieder schuf, damit jeder sie singen konnte. Für diesen großen Reformator war der Glaube kein Handwerk.
    Recht einfach könnte es dagegen sein, eine Verbindung zwischen Werkstattritualen und profanen sozialen Praktiken herzustellen. Ganz sicher gab es solch eine Verbindung mit der diplomatischen Praxis des 16. Jahrhunderts. Als die Professionalisierung der Diplomatie begann, brachte man jungen Diplomaten in Auslandsbotschaften bei, in der Öffentlichkeit gewandt aufzutreten und sich im Umgang mit Ausländern sowohl der förmlichen Rede zu bedienen als auch informelle Konversation zu pflegen. Die förmliche Rede wie auch das informelle diplomatische Gespräch nahmen den Charakter von Ritualen an, die von anderen als etablierte und relativ spezialisierte Verhaltensformen wahrgenommen wurden. Botschafter lehrten ihre jungen Schützlinge, diese Rituale gekonnt auszuführen. Hinter geschlossenen Türen unterzog man die Leistungen auf diesen Gebieten einer genauen Prüfung. Die beiden jungen Gesandten auf Holbeins Gemälde, die man zur Bewältigung der Krise im Zusammenhang mit der Scheidung Heinrichs VIII. nach England entsandt hatte, waren nicht besonders geschickt. Die Entourage des ständigen Botschafters war da schon geschickter, doch auch diese Profis vermochten gegen Heinrichs sexuelle Begierden nichts auszurichten.
    Die Berufsdiplomaten bildeten allerdings eine Elite. Obwohl man die Botschaft als soziale Werkstatt begreifen könnte, war sie doch weit von der Straße entfernt. Deshalb wollen wir die Frage nach den qualifizierten weltlich-sozialen Ritualen in einem breiteren Rahmen betrachten.
    Eine Möglichkeit dazu bietet die Idee der sozialen »Rolle«. Der Soziologe Erving Goffman untersuchte, wie Menschen gewöhnlich Rollen erlernen, zu Hause und bei der Arbeit, aber auch in speziellen Umwelten wie psychiatrischen Anstalten oder Gefängnissen. 4 Die »Selbstdarstellung im alltäglichen Leben«, wie Goffman dies nennt, ist letztlich ein ständiger Prozess. Sie beginnt, wenn die Anpassung an andere Menschen zu einer eingeschliffenen Gewohnheit wird. Soziale Akteure können unter »Rollendissonanz« leiden, wenn die Umstände sich verändern und alte Rollen sich als unangemessen erweisen. Zu einer Rollendissonanz zwischen Eltern und Kindern kommt es zum Beispiel nach einer Scheidung. Die getrennten Elternteile stehen nun unter dem Druck, nach neuen und

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