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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
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lernen, Störungen herauszufiltern. Anders als die deprimierende unfreiwillige Langeweile bei der Arbeit am Fließband vermittelt gewollte Langeweile dieser Art das angenehme Gefühl einer geringfügigen Stimulierung. Hier haben wir eine psychologische Logik, die mit Tocquevilles Bild eines Individuums übereinstimmt, eines Menschen, von dem es heißt: »So steht er neben [den anderen], aber er sieht sie nicht; er berührt sie, und er fühlt sie nicht.«
    Natürlich schrieb Tocqueville auf einer weitaus höheren geschichtlichen und gesellschaftlichen Ebene als der Laborpsychologe. Er konfrontierte seine Leser mit der These, dass der Individualismus in der modernen Gesellschaft mit dem Niedergang alter traditionsbedingter Bindungen und der sozialen Hierarchie zunehmen werde. Und damit stand er keineswegs allein. Viele Konservative aus seiner Generation und aus der seiner Eltern bedauerten den Zusammenbruch der alten sozialen Bande. Seine Amerikareisen heilten ihn jedoch von nostalgischen Gefühlen. Er gelangte zu der Überzeugung, dass die Ehrerbietung zu Recht verschwand, etwa jene Ehrerbietung, die das Verhältnis zwischen den Arbeitern und ihren Herren auf Landgütern wie dem seiner Eltern kennzeichnete. Aber er fand in Amerika auch ein Gegengewicht zum Individualismus, und zwar das Vereinswesen mit seinen ehrenamtlichen Tätigkeiten: Kirchengemeinden, Wohltätigkeitsvereine, Sportvereine und dergleichen. Da jedermann sich dort beteiligen konnte, hoffte er, dass die unterschiedlichsten Menschen in diesen Vereinen zusammenkämen und die Unterschiede bald nicht mehr als beängstigend empfunden würden. Die Kooperation in den Vereinen konnte ein Gegengewicht zum Individualismus bilden. Tocqueville war einer der ersten Aristokraten des 19. Jahrhunderts, die das Vereinswesen schätzten, also jenen Weg, der schließlich zu den Nachbarschaftsheimen, den lokalen Kreditvereinen und den Genossenschaftsbanken führte. Die Amerikaner waren in seinen Augen gute Vereinsorganisatoren, und er glaubte, die Europäer könnten von dieser Organisationsfähigkeit etwas lernen. Dennoch war seine Sicht der Bildung von Vereinigungen aller Art beschränkt. Anders als spätere Anhänger dieser sozialen Organisationsform dachte er nicht daran, dass man mit diesem Instrument gegen wirtschaftliche Not oder Unterdrückung vorgehen konnte.

    Sein psychologisches Gewicht erhält der freiwillige Rückzug also durch den Wunsch, Angst abzubauen, vor allem die Angst, sich mit anderen Bedürfnissen als den eigenen auseinandersetzen zu müssen. Der Narzissmus ist eine Möglichkeit, diese Angst zu verringern, die Selbstzufriedenheit eine andere. Einfach ausgedrückt, geht es im ersten Fall um Eitelkeit, im zweiten um Gleichgültigkeit. Beide psychologischen Kräfte deformieren den Charakter, verstanden als verantwortliches Handeln gegenüber anderen oder als Übernahme eines anspruchsvollen Ehrenkodex. Kann Kooperation hier mehr Gewicht auf die Waagschale bringen? Das ist die Frage, vor der wir – wie Tocqueville vor nahezu 200 Jahren – auch heute stehen.

Leichtgewichtige, schwache Kooperation

    Die im zweiten Teil dieses Buchs gesammelten Befunde zeigen, dass Kooperation heute gegenüber dem Individualismus nicht viel Gewicht auf die Waage zu bringen vermag. Den Ausschlag geben institutionelle Kräfte. Die Kinder erleben Ungleichheit, sobald sie in die Schule kommen. Die Verteilung des Reichtums innerhalb der Gesellschaft führt, wie die Unicef-Studie gezeigt hat, in verschiedenen sozialen Schichten zu unterschiedlichen Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern. In der Folge kommt es auch bei den Kindern zu abweichenden Verhaltensweisen. Kinder in relativ egalitären Gesellschaften entwickeln eher wechselseitiges Vertrauen und kooperieren miteinander. In Gesellschaften mit ausgeprägter Ungleichheit besteht dagegen eine größere Wahrscheinlichkeit, dass Kinder einander als Gegner behandeln.
    Wir möchten wissen, wie die Kinder diese aufgezwungene Ungleichheit innerlich verarbeiten. Die Befunde sind komplex, wie Juliet Schot warnt. So materialistisch Kinder auch sein mögen, sie vergleichen sich nicht ständig voller Neid untereinander auf der Grundlage ihres Besitzes. Die Wahrnehmung der Ungleichheit zeigt sich allerdings in der Art und Weise, wie Kinder und Jugendliche Technologie erwerben und in sozialen Netzwerken einsetzen. Im Alter von acht oder neun Jahren wissen Kinder, dass sie nicht denselben sozialen Status besitzen, und dieses Wissen

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