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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
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Auch der kreative Autor muss seinen Text überarbeiten und frühere Fassungen reparieren. Und einem Elektriker kommt beim Reparieren einer defekten Maschine vielleicht eine Idee, wie man sie verbessern könnte.
    Wer als Handwerker Geschick in der Herstellung von Dingen erwirbt, entwickelt körperliche Fähigkeiten, die sich auch auf das soziale Leben anwenden lassen. Und das geschieht im Körper des Handwerkers. Im sozialwissenschaftlichen Jargon belegt man diese Verbindung zwischen Körperlichem und Sozialem mit dem unschönen Ausdruck »Verkörperung«. In diesem Kapitel werden wir uns drei solcher Verkörperungen ansehen: wie die Rhythmen physischer Arbeit im Ritual verkörpert werden; wie körperliche Gesten informelle soziale Beziehungen mit Leben erfüllen; und wie der Umgang handwerklicher Arbeit mit physischem Widerstand den Umgang mit sozialen Widerständen und Unterschieden erhellt. Erfasst man diese Zusammenhänge mit dem Begriff der »Verkörperung«, müssen sie abstrakt wirken. Ich will versuchen, sie konkret zu machen.
    Das Thema der Reparatur hat auch außerhalb der Werkstatt seine Bedeutung, denn die moderne Gesellschaft bedarf dringend einiger Reparaturen. Reparaturarbeit ist jedoch eine komplizierte Angelegenheit. Man kann defekte Dinge auf unterschiedliche, nicht miteinander vereinbare Weisen reparieren, und diese Strategien führen auf sozialer Ebene in unterschiedliche Richtungen, die miteinander in Konflikt geraten können. Wenn uns das Reparieren in der Werkstatt als Vorbild für Veränderungen dienen soll, müssen wir uns die konkrete Arbeit des Reparierens anschauen.
    Auch wenn wir herausfinden möchten, was wir aus der körperlichen Arbeit im Blick auf die Stärkung sozialer Bande lernen können, wollen wir doch nicht der irrigen Vorstellung verfallen, wer in solchen Arbeiten gut ist, der sei notwendig auch im sozialen Leben gut. Körperliche Fertigkeiten des Herstellens und Reparierens können uns allenfalls Einblicke in soziale Beziehungen vermitteln. Ich denke, man wird sagen dürfen, die Reformer, die vor einem Jahrhundert auf der Pariser Weltausstellung zusammenkamen und die alle das Leben der einfachen Arbeiter verbessern wollten, wussten nicht sonderlich gut, wie Arbeit wirklich vonstattengeht. Sie wollten große soziale Werte wie Gerechtigkeit und Fairness an den Arbeitsplatz bringen. Man kann beim Reformprozess auch die umgekehrte Richtung einschlagen, indem man in der Werkstatt gewonnene Erfahrungen auf die Gesellschaft überträgt.

Rhythmus und Ritual

    Stellen wir uns vor, unter den auf Holbeins Gemälde Die Gesandten dargestellten Objekten befände sich auch ein Skalpell. Im frühen 16. Jahrhundert wurde das chirurgische Skalpell gerade zu einem eigenständigen Instrument. Das Problem der Metallzusammensetzung war gelöst, aber die Form des Werkzeugs variierte und man wusste noch nicht recht, wie man es einsetzen sollte. Wie konnte ein Feldscher oder Barbier, der zugleich als Chirurg arbeitete, seine manuellen Fertigkeiten verbessern?
    In der Entwicklung menschlicher Fertigkeiten gibt es einen bestimmten Rhythmus. Im ersten Schritt wird eine Gewohnheit eingeschliffen. Der Feldscher-Chirurg lernt, das Skalpell in die Hand zu nehmen, ohne sich jedes Mal sagen zu müssen: »Nimm den Griff in die Hand, aber drücke nicht allzu fest zu!« Er möchte das Instrument mit einer fließenden, sicheren Bewegung führen, und er möchte, dass dieser Griff zu einer Selbstverständlichkeit wird. Das erreicht er, indem er den Griff immer wieder übt, bis er das Gefühl hat, dass er das Instrument ohne zu zittern fest, aber nicht zu fest in der Hand hält.
    In einer zweiten Phase erweitert man die Fertigkeit, indem man die eingeschliffene Gewohnheit in Frage stellt. Bei einem mit der Hand geführten Werkzeug ist instinktiv am bequemsten der geschlossene Griff, bei dem man die ganze Hand möglichst fest um einen Stiel oder Knauf legt, so dass der Gegenstand sicher in der Hand liegt. Die menschliche Hand vermag Gegenstände allerdings auf sehr vielfältige Weise zu ergreifen, etwa indem man ihn zwischen den Fingerspitzen des Daumens und eines oder zweier Finger hält oder indem man ihn ohne Beteiligung des Daumens mit vier Fingern gegen die Handfläche presst. Der Feldscher-Chirurg, der einen Patienten aufschneiden will, dürfte herausfinden, dass der instinktiv gewählte Griff, bei dem das Messer in der ganzen Hand liegt, für einen sauberen Schnitt allzu unsensibel wäre, denn auf diese Weise

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