Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält
ihren Werkbänken stehen.
Acht Monate später sieht alles ganz anders aus. Nur wenige Werkzeuge liegen nun in den ursprünglich dafür vorgesehenen Kästen. Die Sägen hat man verrückt, und die Absaugvorrichtungen sind abgestellt (offenbar summten sie in B-Dur, was Menschen, die beruflich ganz auf den Kammerton a eingestellt sind, als Misston empfinden). Die Werkstatt ist immer noch recht sauber, aber nicht mehr schematisch geordnet. Dennoch bewegen die fünf Geigenbauer sich in dem Durcheinander äußerst geschickt, sie schlängeln und ducken sich und vollführen gelegentlich wie Tänzer einen Schwenk, um der Bandsäge auszuweichen, die nun mitten im Raum steht. Diese Veränderungen haben die dort Arbeitenden nach und nach im Laufe der letzten Monate vorgenommen, um das klare architektonische Design an die komplizierteren physischen Gesten der Arbeit anzupassen.
Solche Anpassungsvorgänge findet man in vielen Arbeitsräumen, und wenn die physische Arbeitsumgebung dies zulässt, fallen sie nicht schwer. Selbst in streng festgelegten Arbeitsumgebungen bleiben den Menschen noch kleine Gesten wie das Stirnrunzeln, das sagen soll: »Das ist mein Raum«, oder ein Lächeln, das einlädt: »Kommen Sie herein!« Gesten können Laute sein oder auch ein Gesichtsausdruck. In der Geigenbauwerkstatt spürte eine Geigenbauerin, die am Sägetisch stand, aufgrund von Geräuschen oder aus den Augenwinkeln heraus, dass jemand hinter ihr stand. Sie beugte sich ein wenig nach vorn und arbeitete weiter.
Gesten in Gestalt von Bewegungen, Gesichtsausdrücken und Lauten erfüllen das soziale Dreieck mit Leben. In der Geigenbauwerkstatt wurden verdiente Autorität, Vertrauen im Sinne eines Glaubenssprungs und aufgenötigte Kooperation zu körperlichen Erfahrungen. Die fünf Geigenbauer sind stolz auf ihre Fertigkeiten in den anspruchsvollsten Arbeiten, dem Zuschneiden und Schleifen der Holzplatten, die Boden und Decke des Streichinstruments bilden sollen. Sie alle haben sich ihre Autorität am Sägetisch verdient. Wenn jemand an der Bandsäge arbeitet, übernimmt er das Kommando in der Werkstatt, reicht Schnittabfälle zur Seite, ohne sich umzudrehen, und erwartet, dass jemand da ist, um sie ihm kommentarlos abzunehmen. In dieser Werkstatt gerät nur selten jemand in Aufregung, denn alle anderen verfügen über eine ähnliche Meisterschaft. Vertrauen im Sinne eines Glaubenssprungs zeigt sich etwa, wenn jemand, der einen Topf brühend heißen Leims trägt, davon ausgeht, dass die anderen unaufgefordert aus dem Weg gehen. Sein gekrümmter Rücken und die um den Leimtopf geschlossenen Hände signalisieren, er vertraut darauf, dass die anderen diese Zeichen erkennen. Aufgenötigte Kooperation zeigt sich zum Beispiel, wenn jemand in einem Stück Holz unerwartet auf kleine Verwachsungen stößt. Wenn ein Geigenbauer mit einem Stück Holz auf die Kante seiner Werkbank klopft, wirkt dieser Ton wie ein Alarmzeichen für die anderen. Sie verlassen ihre Werkbänke und kommen herbei, um ihren Rat anzubieten oder ihr Mitgefühl zu bekunden.
Auch wenn diese physische Miniaturfassung des sozialen Dreiecks trivial erscheinen mag, besitzt sie doch einige prägnante Merkmale. Das erste betrifft die Geste. Die Geigenbauer vollführen ihre Gesten in der neuen Umgebung zwar auf der Grundlage der früheren, in der alten, vollgestopften Werkstatt entwickelten Gesten, doch es entstanden auch ganz neue Gesten. So erledigte man die Sägearbeiten früher an derselben Werkbank wie das Leimen und Firnissen. Die übrigen Handwerker konnten direkt sehen, was der Sägende tat, so dass keine Notwendigkeit bestand, hinter seinem Rücken zu manövrieren. Ich fragte den Mann, der sich um mein Cello kümmert, nach Veränderungen dieser Art. Er schaute sich ein wenig verwundert im Durcheinander der Werkstatt um, in dem die Leute umherliefen. »Ich denke, das ist einfach passiert.« Er verbringt sein ganzes Arbeitsleben mit der Herstellung und Reparatur von Cellos, aber er käme nicht auf den Gedanken, dass er durch solche Gesten seinen Arbeitsraum hervorbringen könnte.
Gesten mögen als eingebaute, unwillkürliche Reflexe erscheinen. Zumindest glaubte das Charles Darwin. In seinem Spätwerk Der Ausdruck der Gefühlsbewegungen bei den Menschen und den Tieren (1872) stellte er die These auf, dass menschliche Gebärden auf unwillkürlichen Reflexen basieren, wie sie bei allen Lebewesen zu finden sind. Kein einzelnes Lebewesen und keine Tiergruppe könne sie durch einen
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