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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
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bestimmte Form gaben. Und auch wir wissen mit unserem Körper, dass Informelles geformt wird, wenn wir dafür sorgen, dass unsere Gesten den Umständen entsprechen und dass sie gut sind.
    So also klingt meine komplizierte Passage in aufgedröselter Form. Das informelle soziale Dreieck ist eine soziale Beziehung, die wir herstellen. Gesten sind eine Möglichkeit, diese Beziehung umzusetzen. Die Gesten, die Bindungen herstellen, sind eher erlernte Verhaltensweisen als unwillkürliche Reflexe. Je besser wir eine Geste ausführen, desto ausdrucksstärker wird das Informelle und desto eher kommt es »aus dem Bauch«.

Die Arbeit mit Widerständen

    Die dritte Verkörperung stellt eine Verbindung zwischen dem Umgang des Handwerkers mit physischen Widerständen und dem Umgang mit schwierigen sozialen Begegnungen her. Der Handwerker weiß etwas Wichtiges über den Umgang mit Widerständen: Er darf nicht dagegen kämpfen, als führte er Krieg gegen Verwachsungen im Holz oder gegen Ungleichmäßigkeiten in schwerem Stein. Wirkungsvoller ist der Einsatz minimaler Kraft.
    Wir wollen noch einmal zu unserem Feldscher-Chirurgen zurückkehren, um diese Art von Arbeit mit Widerständen zu verstehen. In der mittelalterlichen Chirurgie glich der Umgang des Chirurgen mit dem Körper des Patienten einem Schlachtfeld. Mit stumpfen Messern und Knochensägen, die nur wenige Zähne besaßen, drang der Feldscher-Chirurg auf den Körper ein und versuchte Muskeln und Knochen zu durchtrennen. Die Einführung besserer Instrumente hatte zur Folge, dass er nicht mehr so sehr zu kämpfen hatte. Und wenn er vielfältigere und feinere Fertigkeiten entwickelte, konnte er sogar noch weniger aggressiv arbeiten. Ein Ergebnis bestand darin, dass er nun diverse tief im Körper liegende Organe erforschen konnte, da sie unter dem Messer unverletzt blieben. Das sehen wir etwa an den großen anatomischen Abhandlungen, die Vesalius im 16. Jahrhundert vorlegte. Dank feinerer und präziserer Instrumente konnte der Chirurg nun feinste Unterschiede registrieren, wie sie zwischen dem das Organ umgebenden Häutchen und der festeren Masse des eigentlichen Organs bestehen. 11
    Die auf Holbeins Gemälde dargestellten optischen Instrumente hatten manches mit dem neuen Skalpell der Chirurgen gemein, und in manchem unterschieden sie sich davon. Wie beim Skalpell handelte es sich um verfeinerte Instrumente, mit denen man mehr, klarer und weiter sehen konnte als mit bloßem Auge. Anders als beim Skalpell zeigte sich, je klarer man sah, desto rätselhafter wurde das, was man da nun sehen konnte: bislang unbekannte Monde im Sonnensystem, Spuren von Sternen und Galaxien in noch größerer Entfernung, und all das widersetzte sich dem Verständnis. Johannes Kepler (1571–1630) befasste sich mit solchen Fragen, als 1604 plötzlich eine Supernova (ein explodierender Stern) am Himmel erschien. Astrologen erklärten mit magischen Formeln, warum es so etwas gab, aber sie erklärten nicht die rätselhaften Bewegungsmuster, die Kepler mit dem Fernrohr beobachtete.
    In solchen Fällen zeigen sich Widerstände in der Materie selbst wie auch in deren Verständnis – die zweite Art von Schwierigkeiten, denen man mit besseren Werkzeugen begegnen kann. Wenn wir gegen Widerstände kämpfen, konzentrieren wir uns eher darauf, das Problem loszuwerden, als es in seinen Einzelheiten zu verstehen. Wenn wir dagegen mit dem Widerstand arbeiten, möchten wir das frustrierende Erlebnis, nicht weiterzukommen, loswerden und befassen uns deshalb mit dem Problem als solchem. Dieses allgemeine Muster zeigte sich in der Londoner Geigenbauwerkstatt, wenn etwa eine Geigenbauerin mit einem Holzstück auf die Werkbank klopfte, weil sie den Verdacht hatte, dass darin eine Verwachsung verborgen war. Dann klopfte sie mit dem Holz in unterschiedlichen Stellungen auf die Werkbank und versuchte, durch den Wechsel des Klangs zu bestimmen, wo sich die Verwachsung befand. Begann sie dann mit dem Sägen, verließ sie sich nicht auf diese grobe Lokalisierung, sondern prüfte beim Sägen anhand des geringfügigen Widerstands, den sie beim Voranschieben des Holzstücks spürte, ob sie auf solch eine Verwachsung stieß – eine feinnervige Art von Sägen, bei der sie sich von der noch nicht sichtbaren Verwachsung leiten ließ. Auf diese Weise arbeitete sie mit dem Widerstand.
    Der Einsatz minimaler Kraft ist die wirkungsvollste Art des Umgangs mit Widerstand. In der Chirurgie ist es ganz ähnlich: je weniger aggressiv der

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