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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
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Wie im Gefängnis Abu Ghraib während des Irakkriegs geschehen, kann es Folterer erregen, wenn sie ihre Opfer maskieren. Fotografien aus Abu Ghraib zeigen nackte, desorientierte und Schmerzen erleidende Folteropfer, denen man einen Sack über den Kopf gestülpt hat, umgeben von jungen Amerikanern, die in die Kamera lächeln und lachen. Der kapuzenartige Sack über dem Kopf des Opfers hat einen älteren, weniger bösartigen Vorläufer in der Kleidung von Magiern. Bilder von Magiern mit vermummtem Kopf fanden sich in Frankreich schon im 11. Jahrhundert. Die Vermummung sollte den Magier den Blicken Gottes entziehen und ihn stattdessen dem Einfluss dunklerer kosmischer Kräfte aussetzen. Wie der Historiker Carlo Ginzburg gezeigt hat, signalisierte die Vermummung in der schwarzen Messe, dass die Teilnehmer das Reich des menschlichen Fühlens verlassen hatten.
    Larve, Vogelmaske und Vermummung stehen für stimulierende Mächte, doch es gibt noch eine weitere Art von Maske, die eine allgemeinere soziale Bedeutung besitzt, und seltsamerweise kann es sich dabei um eine Maske mit ganz neutralen Merkmalen handeln. Mit dem nötigen Geschick getragen, kann sie anregend wirken.
    Kurz nach der Befreiung Frankreichs 1944 hatte der noch sehr junge Schauspieler Jacques Lecoq eine schicksalhafte Begegnung. Bei einer Aufführung in Grenoble traf er Jean Dasté, einen großen Schauspieler und Regisseur, der erreichen wollte, dass die Schauspieler frei von bombastischer Wichtigtuerei, ganz schlicht und einfach und genau deshalb kraftvoller spielten. Zu diesem Zweck schuf er bemalte Pappmachémasken mit neutralen Gesichtszügen, die Männer und Frauen, Junge und Alte auf der Bühne tragen sollten. Lecoq war von der Wirkung überrascht: »Wenn der Schauspieler die neutrale Maske trägt, schaut man auf den ganzen Körper«, bemerkte er, »und der ganze Körper wird zum ›Gesicht‹.« 24 Da der Gesichtsausdruck ausfällt, bleiben dem Schauspieler nur körperliche Gebärden und das Spiel der Stimme. 25
    Dadurch inspiriert, bat Lecoq den Bildhauer Amleto Sartori, ihm Ledermasken anzufertigen (in der commedia dell’arte hatte man die Masken ursprünglich aus Leder hergestellt). Lecoq vergrößerte dann die Augenöffnungen und zog die Lippen in die Breite, so dass sie weder lächelten noch finster wirkten. Er machte das Kinn zu einem abstrakten Balken und strich die Maske weiß. Schließlich gründete Lecoq eine Schule, in der maskierte Schauspieler lernen sollten, ohne Gesichtsausdruck etwas zu vermitteln. Lecoqs »Methode« erfordert in der Tat beträchtliche Disziplin, schließlich ist emotional ein ganzes Glied amputiert worden. Die extremste Form solcher Beschränkung ist die Pantomime, bei der kein Laut aus dem Mund dringt, also gleichsam auch die Zunge herausgeschnitten worden ist. Unter diesen Umständen fällt den Händen des Schauspielers die Aufgabe zu, Erschütterung, Freude oder Trauer zum Ausdruck zu bringen, und das ist keine leichte Kunst. Die Maske allein vermag den Körper des Schauspielers noch nicht freizusetzen. Die Larven, die Frauen auf Maskenbällen trugen, signalisierten nur eines: »Ich bin zu haben.« Der maskierte Schauspieler muss weitaus vielfältigere Gefühle zum Ausdruck bringen.
    Natürlich ist »Neutralität« eine Erfahrung, die zahlreiche Facetten besitzt. Die neutralen physischen Räume in modernen Städten – die großen, von ein wenig Grün umgebenen Kästen aus Glas und Stahl, die man allenthalben antreffen kann – sind tote Räume, und viele soziale Beziehungen ähneln solchen leblosen Kästen. Lecoq wollte dagegen, dass seine neutralen Masken den Schauspieler dazu bringen, sich expressiv und direkt zu verhalten: »Die Maske nimmt [dem Schauspieler] etwas, sie nimmt ihm die Künstlichkeit.« Lecoq entdeckte: »Setzt der Schauspieler die Maske ab, ist sein Gesicht entspannt, wenn er sie gut getragen hat.« 26
    Wir wollen hier kurz innehalten. Alexis de Tocqueville brachte von seinen Amerika-Reisen das Bild eines Individuums zurück, das sich in einer neutralen, homogenisierten Gesellschaft wohlfühlt, das die aus Unterschieden erwachsenden Ängste vermeidet und deshalb zum Rückzug neigt. Lecoqs maskierter Schauspieler bewegt sich in diesem Kontext. Dank der neutralen Maske kann der Körper sich entspannen, doch ihr eigentlicher Zweck liegt darin, den Schauspieler für das Publikum noch ausdrucksstärker zu machen. Der Arbeitssuchende und sein Berater, der koreanische Lebensmittelhändler und der

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