Zwanghafte Gier
Lieblingscasino liege am Regency Square.
Das war nur ein paar Blocks entfernt.
Der Portier, ein Mann mit langem dunkelgrünem Mantel und dazu passendem Hut, beäugte misstrauisch Judes zerschlissene Lederjacke und die ausgewaschenen Jeans, als er ihn hineinwinkte. Jude ging zwischen den cremefarbenen ionischen Säulen des Lansdowne hindurch in die mit Mahagoni und roten Teppichen ausgekleidete Eingangshalle.
Die Empfangsdame war drauf und dran, ihn rauszuwerfen, schloss Jude und lächelte der dunkelhaarigen, elegant gekleideten jungen Frau zu, die »Mariella« hieß, wie ihr Namensschild besagte.
»Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte er rasch. »Ich will gar nicht rein.«
»Nur für Mitglieder, Sir.« Ihr Tonfall war freundlich, der Blick ihrer braunen Augen weniger.
»Das ist schon in Ordnung.« Jude beschloss, ihren Vornamen doch nicht zu benutzen. »Ich bin nur aus Zufall hier vorbeigekommen und wollte nach einer Freundin fragen, die hier Mitglied ist.«
Die Frau lächelte, schwieg aber.
»Mrs Bailey.« Kurz fragte sich Jude, ob »Roz« die Abkürzung für Rosalind, Rosamund oder einen ähnlichen Namen war.
»Mrs Bailey ist heute Abend nicht hier«, sagte Mariella.
»Das weiß ich«, erwiderte Jude.
»Ich darf Ihnen leider keinerlei private Informationen zu unseren Mitgliedern geben, Sir.«
»Das möchte ich auch gar nicht«, entgegnete Jude. »Ich kenne Mrs Baileys Privatadresse bereits, aber ich habe sie schon eine Weile nicht mehr gesehen, und ...«
Ein Paar kam hinter ihm heran, senkte einen großen rot-weißen Schirm und verteilte Regentropfen auf dem Teppich. Als er das freundliche Lächeln und die ausgestreckte Hand der Empfangsdame sah, trat Jude einen Schritt zurück und wartete, während der Portier den beiden den Schirm abnahm und Mariella sich nach der Gesundheit des Paares erkundigte und sie ins Empfangsbuch eintrug.
»Ich habe mich gerade gefragt«, sagte Jude ein paar Minuten später, als das Paar in den Lift trat und verschwand, »wie lange es wohl her ist, seit Sie Mrs Bailey zum letzten Mal gesehen haben.«
»Das wäre eine Privatinformation«, erklärte sie.
»Stimmt«, sagte Jude. »Schön.«
Er stand wieder draußen auf dem Bürgersteig und überlegte, ob er noch für einen Drink in den Pub oder direkt in seine Wohnung gehen sollte, als der Portier, der ihm hinausgefolgt war, plötzlich nickte.
»Nette Frau, diese Mrs Bailey«, sagte er.
»Sehr«, bestätigte Jude.
»Sie nimmt sich immer Zeit für eine kleine Plauderei.« Der Mann lächelte. »Ich vermisse sie.« Er nickte wieder. »Ich bin Bill«, sagte er. »Bill Deacon.«
»Jude Brown.«
Sie schüttelten sich die Hände. Deacon hatte einen kräftigen Griff.
»Ich habe gehört«, sagte Jude, »dass sie nach Kanada gegangen ist.«
»Wirklich?«
»Das scheint Sie zu überraschen«, bemerkte Jude.
»Das bin ich auch ... ein wenig jedenfalls«, erwiderte Bill Deacon. »Sie hat mir gar nichts davon erzählt, dass sie fortgehen würde.«
»Hätte sie es denn getan?«, fragte Jude in beiläufigem Tonfall.
Deacon zuckte mit den Schultern. »Im Gegensatz zu den meisten anderen unserer Stammgäste hat sie auf mich nie den Eindruck gemacht, als wäre sie an Urlaub interessiert.«
»Ich glaube, sie mag das Fliegen nicht«, bemerkte Jude.
»Darüber weiß ich nichts.« Deacon rieb sich die ziemlich dicke Nase. »Wo genau in Kanada ist sie denn? Wissen Sie das? Ich hab nämlich einen Kumpel in Toronto.«
»Ich glaube, genau da ist sie auch hin«, erwiderte Jude. »Aber es ist eine große Stadt.«
»Oh, ich habe damit nicht gemeint, dass mein Freund sie kennt«, versicherte Deacon. »Mir ist schon klar, wie groß die Stadt ist. Aber ich erinnere mich, dass er einmal gesagt hat, dass es in Toronto keine Casinos gibt. Er mag das Spielen, wissen Sie.« Deacon grinste. »Man sollte doch glauben, wenn Mrs Bailey irgendwo hingeht, dann nach Vegas oder Atlantic City, vielleicht sogar nach Monte Carlo. Glauben Sie nicht?«
»Das sollte man meinen«, pflichtete Jude ihm bei.
»Wie auch immer«, sagte der Portier. »Wenn das mit Toronto wirklich stimmt, wird sie sich freuen, wieder nach Brighton zurückzukommen.«
83
»Du weißt doch, dass sie nicht da unten bleiben können, oder?«, sagt Bo.
Gereizt stapft er auf und ab, beinahe unablässig, und Frankie erinnert sich, wie Wut und Erregung sein Verlangen, sie zu quälen, stets verstärkt hatten.
»Allmählich stinken sie«, fährt er fort. »Hast du es nicht gerochen,
Weitere Kostenlose Bücher