Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
Beauvais erschien an der Türe des Betzimmers und meldete den Kardinal Mazarin. Der Knabe erhob sich mit gerunzelter Stirne auf ein Knie und blickte seine Mutter an, dann sprach er: »Weshalb tritt er denn auf diese Art ein, und läßt nicht um eine Audienz bitten?« Anna errötete leicht und entgegnete ihm: »Es ist von Wichtigkeit, daß zu der Zeit, in welcher wir jetzt leben, ein erster Minister zu jeder Stunde der Königin Bericht von dem erstattet, was vorfällt, ohne daß er dabei die Neugierde oder die Bemerkungen des ganzen Hofes zu erregen braucht.«
»Allein ich denke,« sprach das unbarmherzige Kind, »Herr von Richelieu ist nicht auf diese Art eingetreten.«
»Wie kannst du dich erinnern, was Herr Richelieu tat? Das konntest du nicht wissen, da du noch zu jung warst.«
»Ich erinnere mich wohl nicht daran, doch fragte ich danach, und man hat es mir gesagt.«
»Und wer hat es dir gesagt?« entgegnete Anna mit schlecht verhehlter Regung des Ärgers. »Ich weiß, daß ich nie die Personen nennen darf, die mir Antwort auf meine Fragen geben,« sagte der Knabe, »sonst würde man mir nichts mehr vertrauen.«
In diesem Momente trat Mazarin ein. Der junge König erhob sich ganz, schlug sein Buch zu und trug es zu dem Tische, wo er stehen blieb, um Mazarin zu nötigen, daß er gleichfalls stehen bleibe. Mazarin überblickte mit seinem schlauen Auge diesen ganzen Auftritt, woraus er das Vorgegangene zu erklären suchte. Er verneigte sich ehrfurchtsvoll vor der Königin und machte dem jungen König eine tiefe Verbeugung, der ihm mit einem ungezwungenen Kopfnicken antwortete.
Königin Anna bemühte sich, in Mazarins Zügen die Ursache dieses unerwarteten Besuches zu erraten, da doch der Kardinal gewöhnlich erst dann zu ihr kam, wenn sich alles zurückgezogen hatte. Der Minister gab ihr ein unmerkliches Zeichen und die Königin sagte dann, zu Madame Beauvais gewendet: »Es ist Zeit, daß der junge König zur Ruhe gehe; ruft Laporte.«
Die Königin hatte bereits zwei- oder dreimal den jungen Ludwig gebeten, sich wegzubegeben, aber stets bestand der Knabe auf zärtliche Weise, zu bleiben, doch diesmal tat er keinen Einspruch, nur biß er sich in die Lippen und wurde blaß. Gleich darauf trat Laporte ein. Der Knabe ging gerade auf ihn zu, ohne seine Mutter zu liebkosen.
»Nun, Ludwig,« sprach Anna, »warum umarmst du mich nicht?«
»Weil ich glaube, daß du mir gram bist, und mich fortjagst.«
»Ich jage dich nicht fort; da du aber erst geblattert hast und noch leidend bist, so bin ich bekümmert, das Wachen möchte dir beschwerlich sein.«
»Du hattest nicht dieselbe Kümmernis, als ich mich heute nach dem Palast begeben mußte, um die schlimmen Edikte zu erlassen, über welche das Volk so laut gemurrt hat.«
»Sire,« sprach Laporte, um ihn auf andere Gedanken zu bringen, »wolle Ew. Majestät befehlen, wem ich den Leuchter geben soll?«
»Wem immer du willst, Laporte,« erwiderte der Knabe, »nur nicht Herrn Mancini,« fügte er mit lauter Stimme hinzu.
Herr Mancini war ein Neffe des Kardinals, welchen Mazarin als Edelknaben beim König untergebracht hatte, und auf den Ludwig XIV. zum Teil den Haß übertrug, welchen er gegen den Minister hegte. Der König entfernte sich, ohne daß er seine Mutter umarmt und den Kardinal begrüßt hatte.
»Ganz wohl,« sprach Mazarin, »ich freue mich, daß Seine Majestät in einem Abscheu von aller Verstellung erzogen wird.«
»Weshalb?« fragte die Königin mit einer fast schüchternen Miene. »Nun, ich denke, das Abtreten des Königs bedarf keiner Erklärung. Überdies bemüht sich Seine Majestät nicht, zu verhehlen, welch eine geringe Zuneigung sie zu mir hegt, was mich aber nicht abhält, seinem Dienste ebenso ergeben zu sein wie dem Ihrer Majestät.«
«Kardinal, ich bitte Euch für ihn um Vergebung,« sprach die Königin, »er ist ein Kind, das noch nicht die Verbindlichkeiten kennt, die es gegen Euch hat.« Der Kardinal lächelte. »Doch,« fuhr die Königin fort, »zweifelsohne kämet Ihr einer Wichtigkeit wegen. Nun, was ist es?«
Mazarin setzte sich, oder warf sich vielmehr in einen breiten Stuhl und sprach mit melancholischer Miene: »Was es ist? – nun, daß wir höchstwahrscheinlich bald genötigt sein werden, uns zu trennen, es wäre denn, daß Sie mir aus Aufopferung nach Italien folgen könnten.«
»Und warum das?« fragte die Königin. »Weil, wie die Oper ›Thisbe‹ sagt, versetzte Mazarin. »Le monde entier conspire àdiviser nos
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